Die Rache Der Nibelungen
seinen Lauf nehmen kann.«
»Dein Vater?«, fragte Nazreh. »Ich wusste nicht, dass auch Gernot einst gegen die Nibelungen ritt.«
Nun war es an Sigurd zu lächeln. »Dann freut es mich, dass du nicht weißt, was nicht gewusst werden darf. Weil es vielleicht ein Abschied ist, will ich dir als Freundschaftsdienst mein größtes Geheimnis anvertrauen. Mein Vater ...«
»... war Siegfried, der Drachentöter«, unterbrach Nazreh erneut, auch wenn sein Gesicht verriet, dass die Erkenntnis ihm erst in diesem Moment gekommen war. »Natürlich! Nur so macht es Sinn!«
»Du gönnst mir keine Offenbarung.« Sigurd lachte und stand von seiner Pritsche auf. Sie umarmten einander wie Brüder, die sich neu kennenlernen mussten. »Da ich nun bar aller Geheimnisse vor dir stehe, guter Nazreh – willst du nicht ebenso deine Seele lüften?«
Sie hielten einander an den Schultern, und für einen Moment war es Sigurd, als schimmerten die fast schwarzen Augen seines Freundes noch ein wenig dunkler als sonst.
»Nein«, sagte Nazreh schließlich. »Dich zu deiner Bestimmung zu bekennen ist eine Frage der Ehre, so wie es dein Erbe ist. Doch was ich zu enthüllen hätte, wäre nur Scham und Schande, und wenn es da draußen ein Schicksal für mich gibt – nichts wäre mir lieber, als wenn es meine Spur verlöre.«
Er sprach die Worte ernst, ohne Raum für Zweifel oder Widerspruch.
Dann begleitete Nazreh Sigurd von Xanten aus der Schenke, durch das verschneite Worms nach Norden auf den großen Wald zu, den die Menschen von Burgund so sorgsam zu meiden wussten. Die Sonne drang dabei nicht durch den Dunst des frühen Tages, und silbriger Nebel ließ den Boden wogen wie einen unruhigen See. Irgendwann tauchte zu ihrer Rechten ein mächtiger Schatten auf.
»Die Burg, einst derer von Burgund«, erklärte Nazreh. »Heute nur noch Sitz der römischen Verwaltung. Hier haben die Götter mit deinem Vater ebenso gespielt wie mit deiner Mutter, deinen Zieheltern und allen anderen. Reizt dich ein Blick?«
Sigurd dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. »Es ist Vergangenheit, und Burgund ist nicht meine Zukunft. Die Geister von gestern sollen ruhen.«
Und so gestatteten sie der Burg nicht, sich vollends aus dem Nebel zu schälen, sondern ließen sie zurück und lenkten ihre Schritte tiefer in den Wald.
Der Wolf heulte.
»Du solltest ihm einen Namen geben«, meinte Nazreh lächelnd. »Freunde verdienen einen Namen.«
Sigurd hielt inne und sah sich um. »Spürst du es?«
Nazreh steckte die Nase in die Luft, und sein Blick prüfte alles, was aus Nebel und Schnee sich drängte. »Es ist ... still. Und eine eisige Klammer packt mein Herz, die nicht von der Winterkälte stammt.«
Genauso war es. Der Wald, dessen Bäume größer und deren Stämme dunkler wurden, nahm drohende Gestalt an. Die starken Äste in den Kronen waren verhakt, als wollten sie den Vögeln vom Himmel den Einlass verweigern, und knorrige Wurzeln ragten aus dem kalten Boden, als gelte es, nach den Beinen der Wanderer zu greifen, um sie ins Erdreich zu zerren. Schnee war hier wie ein Leichentuch und so manches Holz wie eine Totenhand, die klagend daraus sich emporstreckte. Es erinnerte Sigurd an die Fieberträume, die er nach seiner Rettung durch Nazreh gehabt hatte.
Und da war Angst. Es war ein Gefühl, das Sigurd fast vollständig fremd war. Nicht einmal der Dryk hatte ihn ernsthaft zur Furcht gezwungen, und instinktiv ging seine Hand zur Brust, wo er das abgebrochene Horn am Lederband spürte. Seine Beklemmung hatte keine Ursache und war doch echt und aufrecht. Seine Beine, eingepackt in warmes Fell, fühlten sich schwach an, und den ganzen Körper zog es zitternd in Richtung Worms, wo sicher eine warme Suppe aus köchelnden Töpfen wartete.
»Es ist ein gottloser Ort«, flüsterte Sigurd. »Ganz gleich, an welchen Gott man glauben mag – hier ist er nicht.«
»Sogar ich könnte fast daran glauben«, stimmte Nazreh zu. »Es verwundert nicht, dass selbst erfahrene und gierige Krieger umgekehrt sind und auf das Versprechen von Gold verzichtet haben.«
Auch Sigurds Herz bat um Gnade und bettelte beim Verstand um Einsicht und Umkehr. Doch das raue Horn, das auf seiner Brust lag, erinnerte ihn an sein Versprechen und an sein Land, das es zu befreien galt. Und schließlich war er der Sohn Siegfrieds. Es lag in seinem Blut.
Nazreh reichte ihm die Hand. »So gehe denn mit festem Schritt, mein Freund. Meine Klinge mag nicht an deiner Seite sein, aber meine Gedanken sind
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