Die Rache Der Rose
sich die beiden über die Dichtkunst unterhielten, merkte Elric, daß er den Kopf auf die Arme gelegt hatte und döste, bis er plötzlich Wheldrake sagen hörte:
»Und wie kommen diese Zigeuner ungestraft davon? Gibt es keine Autorität, die sich ihnen widersetzt?«
»Ich weiß nur, daß sie eine Nation von Wanderern sind«, sagte die Rose leise, »vielleicht eine große Nomadenhorde. Sie nennen sich die Freien Reisenden oder das Volk der Straße, und es gibt keinen Zweifel daran, daß sie stark genug sind, um von den Ortsansässigen gefürchtet zu werden. Es gibt einige Hinweise, daß die Schwestern ausritten, um sich der Zigeunernation anzuschließen. Daher will ich das gleiche tun.«
Und Elric erinnerte sich an die breite Straße aus gestampftem Lehm und fragte sich, ob sie in irgendeinem Zusammenhang zur Zigeunernation stand. Aber sie würden sich doch sicher nicht mit dem Übernatürlichen verbünden! Seine Neugier nahm zu.
»Wir befinden uns alle drei in einer mißlichen Lage«, sagte die Rose, »da wir unsere Gastgeber in dem Glauben belassen haben, daß wir Opfer der Zigeuner seien. Das heißt, wir können diesbezüglich keine direkten Erkundigungen einziehen und müssen uns mit Aufgeschnapptem begnügen. Falls wir unsere Täuschung nicht zugeben wollen.«
»Ich habe das Gefühl, daß uns dies eher unbeliebter machen würde. Diese Leute sind stolz darauf, wie sie mit Händlern umgehen. Über Nichthändler haben wir jedoch nichts gehört. Vielleicht ist ihr Schicksal ein weniger angenehmes.« Elric seufzte. »Mir ist es gleich. Aber wenn Euch unsere Begleitung lieb ist, schließen wir uns Euch an, um nach den Schwestern zu suchen.«
»Jawohl, im Augenblick sehe ich in einem derartigen Bündnis keinen Schaden.« Ihre Worte klangen gelassen. »Habt Ihr irgend etwas über sie vernommen?«
»Ebensoviel wie Ihr«, sagte Elric wahrheitsgemäß. Er war zu dem Schluß gekommen, daß er keine weitere Spur hatte, der er hätte folgen können, also konnte er genausogut dieser folgen und darauf hoffen, daß sie ihn letztlich zu dem Rosenholzkasten und der gestohlenen Seele seines Vaters führen würde. Außerdem gefiel ihm irgend etwas an der Gesellschaft dieser Frau, das er vielleicht nie wieder finden würde, ein leichtes angemessenes Verständnis, so daß er sich ungeachtet seiner vorsichtigen Zurückhaltung wünschte, ihr alle Geheimnisse seines Lebens zu offenbaren, alle Hoffnungen und Ängste und Pläne, die er gehabt hatte, alle Verluste; nicht um sie zu belasten, sondern um ihr etwas anzubieten, das sie vielleicht zu teilen wünschte. Denn soviel wußte er, daß sie auch andere Eigenschaften gemeinsam hatten.
Kurz gesagt empfand er so, als hätte er eine Schwester gefunden. Und er wußte, daß auch sie etwas von dieser Verwandtschaft spürte, obwohl er ein Melniboneer war und sie nicht. Und darüber wunderte er sich, denn Verwandtschaft von einer allerdings völlig unterschiedlichen Art hatte er mit Gaynor erfahren - dennoch eben Verwandtschaft.
Als sich die Rose zurückgezogen hatte, da sie, wie sie sagte, seit sechsunddreißig Stunden nicht mehr geschlafen hatte, zeigte sich Wheldrake von ihr völlig begeistert. »Eine weibliche Dame, Sir, wie ich sie noch nie gesehen habe. Welch eine großartige Frau. Eine fleischgewordene Juno! Eine Diana!«
»Von Euren örtlichen Gottheiten weiß ich nichts«, sagte Elric gelassen, doch stimmte er mit Wheldrake überein, daß sie heute einen außergewöhnlichen Menschen getroffen hatten. Er hatte über diese sonderbaren Verbindungen von Vätern und Söhnen, Quasi-Brüdern und Quasi-Schwestern zu spekulieren begonnen. Er fragte sich, ob er hierin nicht die Gegenwart des Gleichgewichts spürte - oder wahrscheinlicher vielleicht auch den Einfluß der Lords des Chaos oder der Ordnung, denn in letzter Zeit war es offensichtlich geworden, daß die Herzöge der Entropie und die Prinzen der Beständigkeit sich auf eine Auseinandersetzung vorbereiteten, deren Heftigkeit das übliche Maß überschreiten würde. Dies mochte eine weitere Erklärung für das Gefühl der Dringlichkeit sein, das die Atmosphäre zu durchdringen schien - jene Dringlichkeit, die sein Vater, obgleich schon tot und ohne Seele, zum Ausdruck zu bringen versucht hatte. War das sich langsam bildende Muster, das sich um ihn zu formen schien, ein Abbild einer größeren kosmischen Konfiguration? Und eine Sekunde lang erhaschte er einen Blick auf die Größe des Multiversums, seine Komplexität und Vielfalt,
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