Die Rache Der Rose
seine Realitäten und die noch zu verwirklichenden Träume; Möglichkeiten ohne Ende - Wunder und Schrecken, Schönheit und Häßlichkeit - grenzenlos und unbeschränkbar, in allem angefüllt mit dem Letztendlichen.
Und als der grauhaarige Mann zurückkam, diesmal etwas besser angezogen und etwas gepflegter aussehend, fragte Elric ihn, warum man keinen direkten Angriff durch die Zigeunernation befürchtete.
»Oh, soweit ich weiß, haben sie ihre eigenen Regeln, was dies angeht. Es gibt einen Status quo, wißt Ihr. Der ist zwar Eurer Situation nicht zuträglicher…«
»Ihr verhandelt mit ihnen?«
»In gewissem Sinne, mein Herr. Wir haben Abkommen und dergleichen. Wir fürchten nicht um Agnesh-Val, sondern um jene, die kommen, um mit uns zu handeln…« Und wieder vollführte er entschuldigende Gesten. »Die Zigeuner haben so ihre eigene Art, wißt Ihr. Sie sind uns fremd, und ich glaube nicht, daß ich sie direkt bedienen würde, aber wir müssen an ihrer Macht sowohl das Positive als auch das Negative sehen.«
»Und sie haben ihre Freiheit, nehme ich an«, sagte Wheldrake. »Das ist das große Thema von ›Der Roma-Roggen.‹«
»Möglich, mein Herr.« Ihr Gastgeber schien jedoch Zweifel zu hegen. »Mir ist nicht klar, wovon Ihr sprecht - ein Theaterstück?«
»Ein Bericht, Sir, über die Freuden der offenen Straße.«
»Ah, dann wurde er vermutlich von Zigeunern geschrieben. Ich fürchte, ihre Bücher kaufen wir nicht. Nun, ihr Herren, ich weiß nicht, ob Ihr Euch dessen bedient, was wir den Reisenden in Not an Krediten und Ausrüstung zum Selbstkostenpreis anbieten. Falls Ihr kein Geld habt, nehmen wir gern etwas Gleichwertiges. Vielleicht eins von jenen Büchern, wenn Ihr wollt, Meister Wheldrake, für ein Pferd.«
»Ein Buch für ein Pferd, Sir! Nun, Sir!«
»Zwei Pferde? Ich bedaure, daß ich vom gegenwärtigen Marktwert keine Ahnung habe. Bücherlesen steht bei uns nicht sehr in Mode. Vielleicht sollten wir uns dessen schämen, aber wir ziehen das passive Vergnügen der Abendarena vor.«
»Zu den Pferden vielleicht noch einige Tagesrationen Proviant?« schlug Elric vor.
»Wenn Euch das angemessen erscheint, mein Herr.«
»Meine Bücher«, preßte Wheldrake zwischen gefletschten Zähnen hervor, während seine Nase sogar noch spitzer als sonst zu werden schien, »sind mein - mein Ich, Sir. Sie sind meine Identität. Ich bin ihr Beschützer. Außerdem können wir durch die Eigenart einer gewissen Telepathie, derer wir uns alle erfreuen, die Sprache verstehen, wir können sie nicht lesen. Wußtet Ihr das, Sir? Die Fähigkeit reicht dazu nicht aus. Ich nehme an, in gewisser Hinsicht ist das logisch. Nein, Sir, ich werde mich von keiner einzigen Seite trennen!«
Doch nachdem Elric darauf hingewiesen hatte, daß Wheldrake bereits erklärt hatte, eines seiner Bücher sei in einer Sprache abgefaßt, die selbst er nicht kenne, und nahelegte, daß ihr Leben davon abhänge, Pferde zu beschaffen und sich mit der Rose zusammenzutun, stimmte Wheldrake schließlich zu, sich von dem Omar Khayyam zu trennen, das er eines Tages zu lesen gehofft hatte.
Also ritten die drei, Elric, Wheldrake und die Rose die weiße Straße am Fluß entlang zu der Stelle zurück, wo sie den Pfad am vorangegangenen Tag beschritten hatten, aber jetzt blieben sie auf dem Weg, der sie langsam und in Windungen nach Süden führte und der dem trägen Flußlauf folgte. Und Wheldrake sang sein Lied ›An ‘Rabien‹ einer bezauberten Rose vor, derweil Elric etwas vor ihnen ritt, sich fragte, ob er einen Traum betreten hatte, und befürchtete, seines Vaters Seele niemals zu finden.
Sie hatten einen Abschnitt der Flußstraße erreicht, an den Elric sich nicht erinnern konnte, und er dachte bei sich, daß dies nahe jener Stelle war, an der der Drache sich gen Süden und fort vom gekrümmten Wasserlauf gewandt hatte, als seine empfindlichen Ohren ein fernes Geräusch einfingen, das er nicht einzuordnen vermochte. Er machte die anderen darauf aufmerksam, aber sie hörten nichts. Erst eine halbe Stunde später legte sich die Rose die Hand ans Ohr und runzelte die Stirn. »Eine Art Rauschen. Ein Dröhnen.«
»Jetzt höre ich es«, sagte Wheldrake, den es offenbar ziemlich ärgerte, daß er, der Dichter, derjenige mit dem schlechtesten Gehör sein sollte. »Ich wußte nicht, daß Ihr dieses Rauschen, dieses Dröhnen meintet. Ich dachte, es käme vom Wasser.« Und dann zeigte er die Schicklichkeit, zu erröten, die Achseln zu zucken und sich für
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