Die Rache Der Wanderhure
sich ein Schuss löste.
Ernst geworden, wandte Michel sich zu Marat um. »Wie es aussieht, hast du recht. Sigismund hat uns verraten und will uns und Vyszo gegeneinander hetzen, damit einer von uns ausgeschaltet und der andere geschwächt wird.«
»Du solltest dich nicht darüber ereifern«, antwortete Marat mit einem schiefen Grinsen. »So ist nun einmal die Politik. Wäre ich an Sigismunds Stelle, würde ich nicht anders handeln. Aber jetzt lass uns schauen, warum dieses Ding nicht schießt! Sei aber vorsichtig! Nicht dass der Schuss doch noch losgeht und du nicht nur deine Vergangenheit, sondern dazu auch noch deine Zukunft verlierst.«
16.
D as Erwachen war entsetzlich. Marie war so übel, dass sie glaubte, sich jeden Augenblick übergeben zu müssen. Gleichzeitig tat ihr der Kopf so weh, als hätte sie sich einen gewaltigen Kater angetrunken. Zunächst wusste sie nicht, wo sie sich befand und was geschehen war. Nur allmählich erinnerte sie sich daran, dass sie bei Einbruch der Nacht vor Regen und Kälte Unterschlupf in einer Schenke gesucht hatte und dabei als Frau entlarvt worden war. Der Gedanke trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie hatte versagt und dabei sowohl Michel wie auch Trudi im Stich gelassen.
»Ich glaube, sie ist wach«, hörte sie eine Stimme und öffnete die Augen. Von Tränen verschleiert, sah sie mehrere Männer in hussitischer Kriegertracht sowie ein Gesicht, das sich über sie beugte und die Lippen bewegte.
»Hebt sie auf!«
Jetzt erkannte Marie ihn. Es war Jakub, der Patrouillenführer, dem sie den Sohn eines nach Konstanz ausgewanderten Böhmen vorgespielt hatte. Der Mann klang sehr verärgert, und das verhieß nichts Gutes.
Marie wurde von rauhen Händen hochgerissen und auf die Beine gestellt. Als sie sich umsah, bemerkte sie, dass sie sich nicht mehr in der Schenke befand, sondern ein Stück davon entfernt im Freien. Neben ihr wuchs ein hoher Baum mit kräftigen Ästen. An einem davon befestigte einer der Hussiten gerade einen kräftigen Strick, der unten in einer Schlinge auslief. Nun sah Marie auch das sattellose Pferd, das ein Knecht herbeiführte, und begriff, dass sie erhängt werden sollte wie ein Spion oder ein ehrloser Schurke.
Für einen Augenblick überlegte sie, ob sie sich wehren und gegen ihr Schicksal ankämpfen sollte. Doch als sie an ihren Fesseln zerrte, waren diese fest und solide. Sie hätte schon die Kräfte eines Herkules gebraucht, um sie zu sprengen. Selbst als sie aufs Pferd gehoben wurde, ergab sich keine Möglichkeit, denn die Männer hielten ihre Beine fest, und Jakub legte ihr sofort den Strick um den Hals, so dass sie nicht mehr vom Pferd rutschen konnte, ohne sich selbst zu strangulieren.
Hoffentlich ist es schnell vorbei, dachte sie nur noch. Doch da hielten die Hussiten inne und warteten. Mehrere Reiter trabten heran, allen voran ein Mann in fürstlicher Kleidung. Dieser sprang vom Pferd und musterte sie mit finsteren Blicken.
»Das ist also die Spionin, die ihr erwischt habt«, sagte er zu Jakub.
Dieser nickte. »Das Weib ist geschickt und schlau. Sie hat mich mit ihrer Geschichte eingelullt. Hätte nicht eine Hure sie zufällig als Frau erkannt, wäre sie uns durch die Lappen gegangen.«
Vyszo musterte Marie, und seine Gedanken überschlugen sich. Konnte dies die Frau sein, die der Inquisitor aus Rom suchte? Es erschien ihm wahrscheinlich. So viele Frauen aus Deutschland wagten sich nicht in dieses vom Krieg zerfressene Land. Doch warum war sie hier?, fragte er sich, und was hatte es mit dem Mann auf sich, der wegen dieses Weibes bereit war, nicht nur den Papst und den König, sondern auch seinen Glauben zu verraten? Daher stellte er sich breitbeinig vor das Pferd hin, auf dem Marie saß, und bemühte sich, so grimmig wie möglich zu wirken.
»Nun, Spionin, du hast die Gelegenheit zu einem letzten Wort!«
Fürst Vyszo verwendete die deutsche Sprache, die aus seinem Mund einen seltsam weichen Klang erhielt.
»Worüber sollte ich reden?«, fragte Marie bitter, »außer über Eure Grausamkeit, weil Ihr mit meiner Hinrichtung gewartet habt, bis ich aus meiner Betäubung erwacht bin.«
»Wir geben auch einer Vogelfreien und Mörderin die Gelegenheit, ihren Frieden mit Gott zu machen – oder auch mit dem Teufel. Also sprich!«
Auf ein Zeichen Vyszos hin hob Jakub die Hand, um dem Pferd den Schlag zu geben, der es in Bewegung setzen würde.
Marie kämpfte gleichzeitig gegen ihre Tränen und ihre Verzweiflung an und sagte sich, dass
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