Die Rache Der Wanderhure
Auch hoffte er, die Feinde im Kampf so zu verwirren, dass Marie oder Hiltrud das Kind – seine Tochter! – aus der Burg holen und mit ihr fliehen konnten.
Plötzlich klang schneller Hufschlag auf. Michel drehte sich um und vermeinte zu träumen. Da preschte Marat im vollen Galopp über die nasse Wiese und winkte ihm heftig zu. Ebenso verwundert wie erleichtert hielt Michel an und wartete, bis sein Freund und Mentor zu ihm aufgeschlossen hatte.
»Wieso bist du mir gefolgt?«
»Ich sagte dir doch, dass man im Volk meiner Vorfahren die Verantwortung für diejenigen übernehmen muss, deren Leben man rettet«, antwortete Marat mit einem hilflos wirkenden Lächeln.
Dann betrachtete er Michels kriegerische Aufmachung und schüttelte den Kopf. »Wolltest du einfach so in den Kampf ziehen? Du hast wohl vergessen, was ich dich gelehrt habe! Mache es einem Feind nie zu leicht, sondern möglichst zu schwer.«
»Ich muss das Kind retten, meine Tochter!«
»Muss das heute Abend noch sein, oder können wir es auch morgen erledigen?«, fragte Marat bissig. »Ich bin müde vom langen Ritt, und wie du weißt, soll man in diesem Zustand nicht in die Schlacht ziehen. Außerdem fehlt noch jemand in unseren Reihen. Ich erwarte ihn morgen im Lauf des Tages.«
»Du hast Verstärkung mitgebracht?« Michel atmete erleichtert auf, als er Marat grinsen sah. Wie es aussah, bekam er nun eine Chance, diesen Kampf sogar siegreich zu beenden.
»So könnte man es nennen«, erklärte Marat mit einem amüsierten Auflachen. »Jetzt komm schon! Es wird bald dunkel, und dann ziehen die Geister über das Land. Die lieben es nicht, wenn man sie stört.«
Marat wartete, bis Michel sein Pferd gewendet hatte, und ritt dann neben ihm her bis zum Bootshaus. Dort trat eben Marie aus der Tür und blickte ihnen entgegen. Sie war erleichtert, als sie Marat erkannte, denn er war Michels Lebensretter und ein gefürchteter Krieger. Dann aber musste sie daran denken, dass er auch derjenige war, dessen Pfeil Hiltruds Mann Thomas das Leben gekostet hatte. Dieses Geheimnis würde sie tief in ihrem Herzen vergraben müssen und Michel dazu drängen, dies ebenfalls zu tun.
»Sei mir willkommen, Marat!«, begrüßte sie den Steppenkrieger. »Du erscheinst zu einer guten Stunde.«
»Das kommt mir auch so vor«, antwortete Marat grinsend. »Dieser Narr«, er deutete mit dem Kinn auf Michel, »wollte doch tatsächlich allein zur Burg hochreiten. Wie gedachtest du denn eigentlich mit den Kerlen fertig zu werden?«, fragte er ihn.
»Ich wäre hingeritten und hätte sie totgeschlagen!« Michel sah aus, als wäre dies noch immer sein Plan.
Marat lachte ihn aus. »So kann man es natürlich auch machen. Allerdings glaube ich, dass ein wenig Strategie bei dieser Sache nicht schaden könnte!«
Marie beobachtete die beiden Männer und sagte sich, dass sie die Rettung ihrer Tochter nicht nur ihnen überlassen durfte. Michel und Marat mochten ungewöhnlich tapfer sein, aber nach Hiltruds Worten hatten sie es mit einer Übermacht zu tun, gegen die auch ihr Geschick mit der Waffe nicht ausreichte. Von den Knechten in der Burg erwartete sie sich keine Hilfe. Die waren von früher her zu sehr gewohnt, hohen Herren zu gehorchen, und würden eher auf Seiten des Inquisitors stehen. Also musste sie sich selbst um Trudi kümmern.
»Gebt mir ein Schwert! Ich werde euch morgen begleiten.«
Ihre Forderung verwirrte Michel. »Aber du bist eine Frau«, rief er, und Marat nickte dazu.
»Ich weiß mit einem Schwert umzugehen«, antwortete Marie traurig, weil Michel sich auch nicht mehr an die vielen Übungsstunden drüben auf der Wiese erinnerte.
Unterdessen rutschte Hiltrud auf der Bank unruhig hin und her. »Ich muss zurück, sonst schöpfen die Besatzer Verdacht. Denen bin ich bestimmt schon zu lange ausgeblieben.«
Da Marat so aussah, als wolle er ihre Freundin aufhalten, fasste Marie Hiltrud bei der Schulter und schob sie Richtung Tür. »Geh jetzt und gib morgen acht, wenn wir kommen. Vielleicht kannst du Trudi von allem fernhalten.«
»Ich werde tun, was ich kann«, versprach Hiltrud und verließ das Bootshaus.
Mit einer energischen Geste drehte Marie sich zu den beiden Männern um. »Was ist jetzt mit einem Schwert?«
11.
H iltrud kehrte mit einem Gefühl nach Hohenstein zurück, das in rascher Folge zwischen Angst und Hoffnung wechselte. Ihr schien es unmöglich, dass es Michel und seinem Kampfgefährten gelingen würde, gegen so viele Feinde zu bestehen. Der
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