Die Rache Der Wanderhure
Inquisitor – bei dem sie bezweifelte, dass es sich tatsächlich um Ruppertus Splendidus handelte – musste nur die Tore geschlossen halten. Dann standen die beiden Männer hilflos davor. Für einen Augenblick stellte Hiltrud sich vor, Michel und der fremde Krieger könnten zu zweit versuchen, die Burg zu belagern. Das würde ihnen zwar nicht auf längere Sicht gelingen, aber vielleicht konnten sie einen Teil der Besatzer herauslocken und so dezimieren, dass sie selbst eine Chance bekam, Trudi zu befreien.
Schnell schob Hiltrud diese Überlegung beiseite, denn zwei Männer gegen mehr als dreißig war unter keinen Umständen ein gutes Verhältnis. Bei dem Gedanken stieg in ihr das Gefühl auf, wieder einmal den Interessen anderer Menschen hilflos ausgeliefert zu sein, so wie damals, als sie eine Hübschlerin gewesen war und auf der Landstraße hatte ziehen müssen. Thomas hatte sie trotzdem zur Frau genommen. Warum hatte er trotz seiner Verletzungen aufbrechen müssen? Der Lohn für seine Tapferkeit war nun ein Grab in fremder Erde.
Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie fühlte sich so elend wie selten zuvor. Ich darf mich nicht gehenlassen, sagte sie sich. Marie vertraut darauf, dass ich mich um Trudi kümmere. Mit diesem Vorsatz betrat sie die Burg und stieg hoch zu der kleinen Kammer, die man ihr und dem Kind zugewiesen hatte. Dort schloss sie Trudi in die Arme. Um das Kind zu trösten, hätte sie ihm am liebsten gesagt, dass ihre Eltern in der Nähe waren und darauf hofften, sie retten zu können. Doch die Vorsicht verschloss ihr den Mund. Auch wenn Trudi ein kluges Mädchen war, konnte es sein, dass sie sich verplapperte. Auch wollte sie keine Hoffnungen wecken, die sich wahrscheinlich nicht erfüllen würden.
In der Nacht lag Hiltrud lange wach und starrte die Schatten an, die das Licht der im Hof brennenden Wachfeuer an die Wände der Kammer malte. Die Bilder, die sie darin zu erkennen glaubte, erschienen ihr so bedrohlich, dass sie sich zuletzt die Decke über den Kopf zog und verzweifelt die Mutter Gottes bat, ihr, Marie und allen Freunden beizustehen.
Irgendwann schlief sie trotz allen Grübelns ein und erwachte erst durch den Lärm, den Hettenheims Krieger auf dem Burghof veranstalteten. Mühsam erhob sie sich, stellte fest, dass Trudi auch gerade erwacht war, und scheuchte die Kleine an die Waschschüssel. Sie selbst blieb auf ihrem Lager sitzen und starrte ins Leere. Was würde dieser Tag bringen?, fragte sie sich. Endlich Erlösung von den Schrecken der Kriege und Fehden oder neues Leid?
Hiltrud wünschte, sie könnte diese Frage beantworten. Als Trudi fertig war, wusch sie sich selbst, aber sie war so fahrig, dass sie einen Teil des Wassers verschüttete. Noch während sie den Boden aufwischte, wurde die Tür aufgerissen, und Hettenheim steckte den Kopf herein.
»Hast du gestern dem Schlachter ausgerichtet, dass er ein halbes Dutzend Schweine und ein paar Ziegen schlachten und herbringen soll? Meine Männer hungert es nach der elenden Kost auf dem Feldzug nach frischem Fleisch!«
»Ja, das habe ich!« Hiltrud wagte es nicht, den Mann anzublicken, obwohl sie ihn nicht belogen hatte. Allerdings würde der Schlachter an diesem Tag nicht mehr kommen. Auf der Burg wurden keine Schweine gehalten, und so musste er diese von den einzelnen Höfen zusammenholen. Und das würde dauern. Doch Hettenheim achtete nicht weiter auf sie, sondern schloss die Tür mit einem gereizten Knurren.
In den folgenden Stunden besorgte Hiltrud für sich und Trudi etwas zu essen und hielt sich mit dem Kind zumeist auf dem Teil der Wehrmauer auf, von dem aus sie sowohl das Dorf wie auch den Weg zur Bootshütte überblicken konnte. Aber sie wagte es nicht, zu oft zum See hinüberzuspähen, damit es den Besatzern nicht auffiel.
Die Mittagsstunde verstrich, ohne dass sich etwas tat. Die zur Wache eingeteilten Soldaten patrouillierten auf der Mauer, unterhielten sich aber mehr über Mahlzeiten und Frauen, als auf die Umgebung zu achten. So entging ihnen ein kleiner, schmutzig grauer Planwagen, der, von einem dürren Gaul gezogen, langsam über die Straße herankam und schließlich unten am See anhielt. Der Lenker des Karrens, der Hiltrud auf die Entfernung seltsam klein und unproportioniert erschien, schirrte das Pferd aus und führte es zum Wasser, damit es dort trinken konnte.
Ein anderer Mann erschien wie aus dem Nichts und trat auf den Neuankömmling zu. Hiltrud beschattete die Augen, um besser sehen zu können, und
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