Die Rache Der Wanderhure
mit ihrem unfreiwilligen Gast allein.
»Ihr? Aber wie kommt Ihr hierher?«, fragte Marie verblüfft.
Isabelles Gesicht nahm einen entschlossenen Zug an. »Ich will meinen Fehler korrigieren. Leider habe ich unseren Feind unterschätzt und angenommen, er würde sich an Sigismunds Schiedsspruch halten und die Zehntagefrist abwarten. Doch als ich hörte, dass Janus Suppertur in allen Klöstern verbreiten ließ, dass man Euch einfangen und ihm übergeben solle, bin ich mit meinen Schwestern aufgebrochen und habe gehofft, Euch zu finden, bevor er oder seine Diener Euch in die Hände bekämen.«
»Aber warum haben Eure Frauen mich niedergeschlagen? Sie hätten mir doch sagen können, dass …«
Isabelle fiel Marie ins Wort. »Meine Mitschwestern nehmen ihr Schweigegelübde sehr ernst. Außerdem seid Ihr nicht ganz bei Sinnen gewesen und hättet sie nicht als Freunde erkannt. Ich wollte nicht, dass Euch oder ihnen ein Leid geschieht.«
»Aber warum sprecht Ihr, wenn Euer Orden ein Schweigegelübde abgelegt hat?«, wollte Marie wissen.
»Als Äbtissin bin ich davon entbunden. Schließlich muss ich meinen Orden leiten, und dafür brauche ich meine Zunge. Oder glaubt Ihr, es würde reichen, wenn ich meine Anweisungen auf Papier oder eine Schiefertafel schreibe?«
Isabelle lächelte nachsichtig und strich Marie übers Haar. »Und was alles andere betrifft, so wird mein Gott mir verzeihen!«
»Euer Gott?« Marie fragte sich, wo sie hineingeraten war. Wie es aussah, gab es wenig Freundschaft zwischen Isabelle de Melancourt und dem Inquisitor, der sie selbst von Sigismund zur Frau gefordert hatte.
»Ja, mein Gott!«, sagte Isabelle mit Nachdruck und forderte Marie auf, zuzugreifen, ehe der Eintopf kalt war. »Ihr werdet all Eure Kraft brauchen, wenn Ihr weiter nach Osten reiten wollt. Für mich und meine Schwestern ist dieses Kloster der östlichste Punkt, den wir derzeit erreichen können. Von hier ist es nicht mehr weit bis zu Graf Sokolnys Gebiet, und dahinter steht bereits Fürst Vyszo mit seinen Hussiten.
Doch noch einmal zu meinem Gott: Es ist der Gott des freien Geistes. Der Geist, mit dem es vielleicht gelingt, eine neue Weltordnung zu schaffen, die nicht von selbsternannten Priestern und Päpsten beherrscht wird, die die Menschheit in Dunkelheit und Verzweiflung halten. Es ist der Gott der Toleranz und der Erkenntnis, der Gott aller Menschen und nicht nur derer, die aus Angst das Haupt vor dem Papst in Rom beugen und sich damit selbst versklaven. Es ist unser aller Gott!«
»Auch der Gott der Hussiten?«, fragte Marie ungläubig.
»Warum sollte er es nicht sein? Es gibt nur diesen einen Gott.«
Isabelle klang so überzeugt, dass Marie sich fragte, ob die Frau nicht ebenso fanatisch war wie jene, die sie ihre Feinde nannte. Doch es gab einen wichtigen Unterschied: Die Männer jagten sie, die Äbtissin aber hatte ihr geholfen.
»Was habe ich mit dem Ganzen zu tun?«, fragte sie unwillig.
»Eure Reise ins Herz der Finsternis dient hoffentlich unserer Sache. In Eurem Wesen seid Ihr eine von uns! Auch Sigismund ist ein freier Geist, selbst wenn er es selbst noch nicht weiß!«
Bei diesen Worten schien Isabelle in Erinnerungen zu versinken.
Marie sah die Äbtissin verwundert an. »Ich soll eine von Euch sein? Dann müsst Ihr mir erst sagen, wer Ihr seid!«
»Mein Name ist Isabelle de Melancourt, doch das wisst Ihr bereits. Ich bin eine Frau, die geliebt hat, so wie Ihr Euren Michel liebt.«
»Wen?«, fragte Marie verblüfft.
»Den jungen Prinzen von Böhmen und Ungarn«, erklärte Isabelle lächelnd.
»Sigismund?« Jetzt wunderte Marie sich nicht mehr über die Vertrautheit, die sie in Nürnberg zwischen den beiden verspürt hatte.
Isabelle nickte. »Ja, Sigismund! Er liebte mich ebenso wie ich ihn. Doch er durfte nicht zu mir stehen, weil in mir das falsche Blut fließt, nämlich das jener Männer, die das Gute suchten und als Ketzer verdammt wurden. Ich bin die letzte Nachfahrin eines Geschlechts, dessen Väter die Kreuzzüge mitgemacht und alle Mysterien des Heiligen Landes gesehen haben. Dann aber wurden sie von der ach so heiligen Kirche verraten, bekämpft und auf dem Montségur hingerichtet!«
»Die Tempelritter?«, fragte Marie atemlos.
»Einige von jenen gehörten zu uns, doch mit uns meine ich die Katharer, die Reinen, die das Licht in die Welt bringen wollten und von der dumpfen Dunkelheit des römischen Glaubens vernichtet wurden.« Nun klang Isabelles Stimme hart, und Marie begriff, dass
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