Die Rache des Chamäleons: Thriller
euch nicht!«
»Hände hoch!«
»Ich schieße!«
Und dann hatten sie geschossen.
Da war er außer Schussweite gewesen.
Jemand wedelte in die Richtung, in die er laufen sollte.
Ein diskretes Wedeln. Vielleicht war es auch nur eine Kopfbewegung gewesen. Er hatte das Signal wahrgenommen.
Das waren die guten Mächte.
Am Ende war er dort angekommen, wo er hingehörte. Zu den Guten.
Die Guten hatten ihn gerettet.
Die Guten hatten ihm zu dem Leben danach verholfen.
Die Guten waren seine Begleiter gewesen.
Er war ein guter Mensch.
Das sagte er sich jeden Morgen, wenn er sein Gesicht zum ersten Mal im Spiegel sah.
Du bist ein guter Mensch, guter Mensch, guter Mensch.
Er sieht sein Gesicht im schwarzen Fenster der Limousine. Das ist alles, was er sieht. Er sieht nichts anderes.
Sie fahren in nördliche Richtung, haben die Avenida verlassen, fahren weiter nach Norden, sind immer noch in der Altstadt. Die Häuser dürfen leben, bis sie von allein sterben, die alten Häuser leben weiter über Generationen, alle erweisen sich barmherzig gegen die Häuser.
Im Auto riecht es nach Leder. Neues Leder, wie frisch von einem Tier gekommen. Tieren wird keine Barmherzigkeit erwiesen, nicht in diesem Land, denkt er. Tiere haben in diesem Land keine Seele, man darf sie töten, ohne etwas dabei zu fühlen. Die Menschen sind heilig. Doch das ist eine Lüge, das hat er gründlich gelernt.
Ein Mann sitzt neben ihm auf dem Rücksitz der Limousine.
Er trägt einen weißen Anzug. Der Anzug leuchtet im Dämmerlicht, das sich auf die Altstadt senkt. Man kann nicht mehr tief in die Gassen hineinschauen. Den Fahrer kann er nicht sehen, nur den Mann in dem weißen Anzug.
Er spürt den Schweiß unter seinem Hemd, an den Beinen, im Schritt, in den Haaren. Der Mann neben ihm schwitzt nicht. Männer, die teure Anzüge tragen, schwitzen in diesem Land nicht.
Der Mann streckt die Hand aus.
»Guten Abend, mein Freund. Willkommen, willkommen«, sagt er auf Spanisch.
Peter schaut auf die Hand des Mannes. Sie ist genauso weiß wie der Anzugärmel. Alles ist weiß, weiß wie die Dämmerung am Strand. Es gibt nichts Weißeres.
Der Mann zieht seine Hand zurück.
»Ich verstehe nicht«, sagt Peter auf Englisch.
»Du hast einmal besser gesprochen als ich«, antwortet der Mann auf Englisch.
»Welche Sprache?«
»Spanisch natürlich!«
Peter antwortet nicht.
»Die richtige Sprache wolltest du nie lernen.«
»Warum auch?«
»Ja, warum«, sagt der Mann und richtet den Blick nach vorn, weg von Peter.
»Wie viele seid ihr, die die Sprache heute noch sprechen?«
»Immer noch genauso arrogant wie früher, Berger.«
»Ich heiße nicht mehr Berger.«
»Nein, ich weiß.« Der Mann dreht sich wieder zu ihm um. »Erinnerst du dich, wie ich heiße, mein Freund?«
»Bin ich dein Freund?«
»Erinnerst du dich an meinen Namen, mein früherer Freund?«
»Nein.«
»Er fängt mit A an.«
»Ich weiß.«
»Du erinnerst dich also doch?«
»Ich erinnere mich, dass dein Name Aitor ist, ja.«
»Gut. An was erinnerst du dich außerdem?«
Peter antwortet nicht. Sie haben die alten Slums hinter sich gelassen. Die Häuser sind neuer, seelenloser, er sieht das Viadukt, das die neue Autobahn trägt. Dort gibt es überhaupt keine Seele. Er sieht die Berge. Wir sind auf dem Weg in die Berge, denkt er. In den Bergen wird es ein Ende nehmen. Vom Strand aus kann man die Berge sehen, und von den Bergen kann man den Strand sehen. Ich möchte noch einmal den Strand sehen. Noch ein einziges Mal möchte ich Rita umarmen und Magda und Isa, nur ein einziges Mal.
»Woran denkst du, Berger?«
»Dass ich meine Kinder noch einmal im Arm halten möchte, bevor ich sterbe.«
»Wirst du sterben? Bist du krank?«
»Warum bin ich sonst hier?«
»Dann kannst du dich also doch erinnern?«
»Woran soll ich mich erinnern?«
»Daran, was du getan hast. Das ist alles.«
»Ich habe nichts getan.«
»Sieh einer an. Du hast nichts getan.«
»Ich habe niemanden erschossen, Aitor. Ich wusste nichts.«
»Du hast nichts getan. Du wusstest nichts.«
»Um was geht es eigentlich, Aitor? Warum bin ich hier? Und zusammen mit meiner Frau. Warum habt ihr uns gezwungen hierherzukommen?«
»Niemand hat dich gezwungen.«
»Ach nein?«
»Es sind deine eigenen Taten, die dich zwingen zurückzukommen, Berger.«
»Du täuschst dich. Es ist alles ein Missverständnis. Rita hat mit der Sache nichts zu tun.«
Aitor antwortet nicht. Er scheint die Berge zu betrachten. Peter stellt fest,
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