Die Rache des Kaisers
geschändet? Hast du ein Kind getragen und verloren? Oder hast du nur ähnliche Geschichten oft genug von anderen Frauen gehört, die sich dann von dir nicht trösten lassen wollten?«
»Ich habe an einem Herbstmorgen vom Waldrand aus zugesehen, wie Söldner mein ganzes Dorf niedergemetzelt haben. Alle Nachbarn, meine Eltern, drei Geschwister. Da war ich fünfzehn.«
» O mon Dieu .« Sie beugte sich vor, faßte nach meiner Hand und löste durch ein trauriges Lächeln die Eiswand auf, so daß es beinahe war, als habe es diese nie gegeben. »Es tut mir leid, ich …«
»Schon gut. Nein, nimm die Hand nicht weg.«
Sie hob sie, betrachtete sie, legte sie wieder auf meine und verzog den Mund. »Ein rotes herbes Ding; meine Hände waren einmal anders.«
»Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?
« Ich lächelte. »Die einzigen Hände, für die man sich schämen muß, sind solche, die weich und fein sind, weil man immer andere für sich hat arbeiten lassen.«
Sie schwieg eine kleine Weile. »Und wie bestreitest du dein Leben?« sagte sie schließlich. Sie hob meine Hand und rieb die Fingerkuppen und die Handfläche. Es war eine Prüfung, doch hätte ich es auch als Streicheln genommen. »Sag es mir - unter uns Waisenkindern.« Dann lachte sie kurz, beinahe gepreßt. »Wenn du magst.«
»Ich habe mir damals die Gesichter der vier Anführer eingeprägt. Als ich fünfzehn war. Mit zwanzig habe ich begonnen, sie zu suchen. Zu jagen. Drei habe ich … gefunden.«
»Für die Rache leben?« Etwas wie Erschrecken lief über ihr Gesicht. »Ich … kann es verstehen. Fast. Aber wovon lebst du?«
»Arbeiten«, sagte ich leise. »Kämpfen. Ich war in Rom, als es geplündert wurde, und in Wien, als die Türken es belagert haben. Und mein Vater hatte ein wenig Geld bei einer Bank; ich wollte, ich wüßte, was er dafür getan hat.«
Nach einer weiteren Pause sagte sie: »Also, einer der vier Anführer fehlt dir noch? Willst du ihn weiter suchen?«
Ich schloß die Augen und sah das Gesicht des Molochs vor mir. Und die Eisenhand. »Ich werde ihn bis ans Ende der Welt jagen«, sagte ich, »und notfalls bis in die Hölle. Du hast ihn vielleicht gesehen.« Ich öffnete die Augen wieder und sah sie an. »Ich glaube, er war bei denen, die den alten Mann, Marañón, hergebracht haben. Ein Mann mit einer eisernen Hand.«
Sie zuckte kaum merklich zusammen. »Der? Ein … ein furchtbares Untier. Er hat mich angestarrt, als ob er mich zerfetzen und fressen wollte. Zum Glück waren an dem Tag viele andere Männer in der Schänke, sonst …«
Ich nickte. »Ich kann es mir beinahe ausmalen. Aber sag - Männer, nach deinen Erlebnissen; ich staune, daß du meine Hand berühren magst. Ich glaube, ich hätte bis an mein Lebensende nichts als Abscheu.«
Nun lächelte sie wieder, ein wenig spöttisch. »Meine Hand ist so rauh, daß ich deine kaum spüre.«
»Mindert das den Ekel?«
Sie lachte. »Kein Ekel. Anfangs, ja; ich wollte alle Männer entmannen, aufs Rad flechten, in Öl sieden, am liebsten alles nacheinander. Aber Nachbarn in Burgund waren gut zu mir, und hier, der Wirt, mein Verwandter. Nach und nach habe ich begriffen, daß ich nur weiterleben kann, wenn ich all das … nein, nicht vergesse; vergessen kann und will ich nicht. Aber man muß es hinter sich lassen, sonst ist es eine Bürde. Eine Last, die einen am Gehen hindert, am Fortschreiten, die einem das Leben verfinstert und einen am Ende erdrückt.«
»Es gab mal eine Frau, die so ähnlich gesprochen hat. Sie hat dann aber einen geheiratet, der bei ihr geblieben ist, statt hinter seinen Rachegedanken herzuziehen.«
»Und habt ihr einander geliebt?«
»Ja, das haben wir. Lange, sehr, oft und mit gründlicher Wonne.« Ich lachte und berührte ihre Hand mit den Lippen. »Wie ich auch dich lieben könnte - wenn da nicht die Rache wäre.«
Sie lächelte und legte kurz die Hand an meine Wange. »Zwischen heute und deiner Rache liegen vielleicht ein paar angenehme Tage.«
In der übernächsten Nacht kam sie zu mir und machte mir das köstlichste und kostbarste Geschenk. Élodies Liebe, Avrams Freundschaft, lange und erschöpfende Gespräche mit
beiden - große Gaben des Zufalls, unverdient und unvergleichlich. Und unwiederbringlich verloren durch das einzige, was noch größer war: leichtfertige Dummheit.
Aber die beging ich später. Zwei wunderbare Monate später. Da ich nicht wußte, wo sich die Welser und ihr Geleit befanden, auf welchem Weg sie
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