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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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haben.«
    Mit einem Napf und einem mit Fleisch bedeckten Brettchen stiegen wir treppauf. Aber Marañón schlief ganz fest, öffnete die Augen auch nicht, als Avram ihn an der Schulter berührte. Wir stellten das Essen ab und gingen eine Treppe hinunter, dorthin, wo die besseren Zimmer waren. Sie alle waren klein, mit Bettgestell, Matratzen, Decken und einem
Waschtischchen ausgestattet. Avram und ich wechselten einen Blick; er hob die Schultern.
    »Von mir aus«, sagte er. »In der Stadt wird es allenfalls voller sein, so daß wir ein Bett mit vier anderen zu teilen haben.«
    »Willst du sofort aufbrechen oder noch eine Nacht hier schlafen, Karl?«
    »Aufbruch morgen bei Sonnenaufgang wäre besser, oder? Ich bin ganz vollgefressen.«
    »Wo und wann sehen wir uns wieder?«
    Er zögerte einen Lidschlag lang; dann lachte er. »Nächstes Jahr Mittwoch auf der Miralda.«
    Ich brauchte mit dem Wirt, der Koch und Eigentümer war, nicht lange zu feilschen. Wir brachten unsere Pferde im Stall unter, hinter dem Gasthaus, und schleppten unsere Habseligkeiten in die Zimmer. Karl und Avram beschlossen, ein gründliches Abschiedsbier zu trinken, und gingen in den Schankraum; ich stieg wieder zu Marañón hinauf und setzte mich auf die Bettkante. Eine Weile sah ich ihm beim Schlummern zu und lauschte auf seinen Atem, der ganz flach war. Dabei dachte ich über die anstehenden Entscheidungen nach. Irgendwann bemerkte ich, daß der Atem kaum noch zu hören war, tippte Marañón auf die Schulter, legte ihm die Hand auf die Stirn. Sie glühte nicht mehr, sondern war fast eisig; in diesem Augenblick stieß er einen leisen Seufzer aus, eher einen Hauch, und starb.
     
    Am nächsten Morgen nahmen wir Abschied von Karl, eine Stunde später von Gonzalo Marañón. Der Winter war nicht allzu kalt in diesen Tagen, die Erde an der Oberfläche getaut; auf dem Dorffriedhof konnte man ein seichtes Grab ausheben. Élodie weinte ein wenig bei der Beerdigung; als ich ihr
im Schankraum Marañóns Geldbeutel gab, wollte sie ihn zuerst nicht annehmen.
    Ihr Vater war wohlhabender Gutsherr in Burgund gewesen, Besitzer von Weinbergen, Rindern, schönen Pferden und einer Bibliothek. Vor zwei Jahren hatte eine Horde vorbeiziehender Söldner - die Kämpfe zwischen François I. und Karl V. wurden nicht nur um die Lombardei ausgetragen, sondern auch um Burgund und Teile Flanderns - das Gut verwüstet, die anderen getötet, Élodie mitgeschleppt und immer wieder vergewaltigt. In der dritten Nacht war es ihr gelungen, sich aus dem Lager der Betrunkenen zu stehlen. Nachbarn hatten sie eine Weile aufgenommen; als sie merkte, daß die Schänder sie geschwängert hatten, brach sie zu Fuß auf, um bei Straßburg in diesem Gasthaus Zuflucht zu suchen, das einem Vetter ihrer ermordeten Mutter gehörte. Unterwegs, im vierten Monat, verlor sie das Kind.
    Sie erzählte mir diese schreckliche Geschichte am vierten oder fünften Tag, als wir ein wenig vertrauter geworden waren. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte ich die Fiedel in die Hand genommen, mit steifen Fingern einige Melodien zu spielen versucht und beschlossen, daß ich neue Saiten brauchte, um zur verlorenen Geläufigkeit zurückzufinden. Ich packte die Fiedel wieder ein und ging aus meinem Zimmer nach unten.
    Élodie saß an einem Tisch und las. Als ich eintrat, blickte sie auf, nickte mir zu und fragte, ob ich einen Schluck trinken wolle. Es war ein bleigrauer Nachmittag ohne Gäste, wir saßen allein im Schankraum und tranken einen Kräuteraufguß. Sie erkundigte sich nach der Musik, die sie undeutlich gehört hatte; ich erzählte ein wenig von meiner Geschichte und fragte dann nach ihrer.
    Zu meiner Überraschung zögerte sie nur kurz, dann begann
sie zu sprechen. Aber sie erzählte kühl, als sei alles einer anderen, einer Fremden, widerfahren. Für den alten Soldaten hatte sie Tränen vergossen, für die Hauptperson ihrer Geschichte gab es keine.
    »Und das Gut?«
    Sie schob die Unterlippe vor. »Alles niedergebrannt. Ich habe ein paar Briefe geschrieben; bis jetzt weiß ich nicht einmal, ob ich als Tochter die Trümmer und den Grund erben kann oder ob alles, da es keinen männlichen Erben gibt, an einen Vetter oder an den Staat fällt.«
    Ich schwieg eine Weile. »Ich mag das kaum behaupten«, sagte ich schließlich, »aber ich kann einiges nachempfinden.«
    Mit Blicken und Körperhaltung errichtete sie eine eisige Wand zwischen uns. »Was denn?« sagte sie bitter, mit harter Stimme. »Hat man dich auch

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