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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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reisten, ob sie wirklich nach Venezuela wollten, wäre es sinnlos gewesen, einfach so aufzubrechen. Ich mußte mehr herausfinden; dies war auch eine vorzügliche Ausrede, mit der ich mir verhehlen konnte, daß ich lieber bei Élodie bleiben als hinter Zamora herreiten wollte.
    Aber es war natürlich nicht nur eine Ausrede. Nachrichten über das Unternehmen waren allerdings kaum zu erhalten. Erst als ich den Leuten der Welser-Niederlassung in Straßburg sagte, ich wünschte mich mit zehntausend Gulden und meinem Degen an der amerikanischen Reise zu beteiligen, gab man sich dort Mühe, mehr herauszufinden. Zunächst hieß es, die Gesellschaft sei bereits abgereist. Ich bat um Nennung der Reisestrecke, um sie möglicherweise einzuholen und mich ihnen anzuschließen. Durch Frankreich nach La Rochelle, hieß es; ein paar Tage später waren sie angeblich auf dem Landweg nach Sevilla unterwegs, dann wieder nach Genua.
    Die letzte Mitteilung, die sich schließlich als zutreffend herausstellte, lautete, sie seien noch gar nicht abgereist, weil gewisse Papiere fehlten. Um die spanischen Besitzungen in Amerika anzulaufen, müsse man über Sevilla reisen, den Hafen, der als einziger Menschen und Waren von und nach Westindien abfertigen dürfe. Dort gebe es die Casa de Contratación, und dieses Amt sei für alle Erlaubnisse oder Verweigerungen zuständig. Als umsichtige Handelsherren seien die Welser nun keinesfalls gesonnen, eine teure und gefährliche
Fernreise anzutreten, wenn nicht von vornherein feststehe, daß man das Reiseziel überhaupt besuchen dürfe.
    Es habe sich jedoch ergeben, daß ein mit allen nötigen Vollmachten, Siegeln und Stempeln ausgestatteter und sogar gegenüber der Casa de Contratación weisungsbefugter Sekretär des Kaisers die Reichsgebiete und Städte der Freigrafschaft und des Sundgaus von Westen nach Osten bereise und nun irgendwo zwischen Bisanz, Mömpelgard, Beffert und Mühlhausen unterwegs sei. Zu ihm habe sich die Gruppe begeben, um dann, ausgestattet mit allen nötigen Briefen und Siegeln, die große Reise anzutreten.
     
    Abends kehrte ich - geziemend erschöpft von allzu vielen umwegigen Schreiberreden - mit dieser Auskunft aus der Stadt zurück. Inzwischen war es März, die Tage wurden länger, und der Winter schien sich früh verabschiedet zu haben. Die Frau und die beiden Töchter des Wirts, die sich in der flauen Zeit bei Verwandten in Colmar aufgehalten hatten, würden in wenigen Tagen heimkehren und Élodie und dem Vater im Gasthaus wieder zur Seite stehen.
    Ich sah der Rückkehr mit gemischten Gefühlen entgegen. Der Wirt war gelegentlich brummig, aber gutmütig; irgendwann hatte er mir, als ich aß, von hinten die Hand auf die Schulter gelegt und leise gesagt: »Du tust ihr gut, Junge; es ist recht.« Offenbar hatten Élodie und ich uns vergeblich bemüht, unsere Liebschaft heimlich zu begehen - was würde die Frau des Wirts, laut Élodie »eine frömmelnde Geiß«, nach ihrer Wiederkehr sagen und tun, um uns das Leben zu erschweren? Den Nächsten durch heftiges Frömmeln zu verbittern, versüßt bekanntlich des Frommen Seligkeit.
    Aber an diesem Abend herrschte noch Friede. Avram und ich waren die einzigen Gäste, und nach dem Abendessen
saßen wir lange mit Élodie beim Wein. Ich stimmte die vor Tagen gekauften neuen Saiten nach und spielte hin und wieder eine ungelenke Tonfolge, bis einer von uns den Faden des Gesprächs wieder aufnahm oder einen neuen knüpfte.
    Élodie fragte irgendwann, ob ich etwas in Erfahrung gebracht hätte. Als ich von den Auskünften berichtet hatte, sagte Avram: »Wie ich dich kenne, wirst du morgen also nach - wohin? Mühlhausen? Beffert? Gleichviel, von mir aus auch nach Mömpelgard oder Bisanz reiten, ja?«
    Élodie murmelte: »Mulhouse, Belfort, Montbéliard, Besançon … Den umgekehrten Weg bin ich zu Fuß hergekommen. Ich hoffe, du brauchst zu Pferd nicht so lang. Und dann?«
    »Ich weiß es nicht. Noch nicht.«
    Avram legte mir eine Hand auf den Arm. »Herr«, sagte er, »kleiner Bruder, darf ich dir einen Rat geben?«
    »Ich lausche, mein Freund.«
    »Was hast du in den letzten fünf Jahren erfahren? Daß dein Vater möglicherweise Geld verteilt hat, um die Kaiserwahl zu beeinflussen. Karl oder François - für wen? In wessen Auftrag? Wessen Geld? Und daß vielleicht einer hinterher beschlossen hat, Spuren zu tilgen - wer? Der Sieger? Der Verlierer? Willst du wirklich mehr wissen? Vielleicht erfahren, daß dein Vater sein Geld mit Schmutz

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