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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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verdient hat? Wäre es nicht besser, dich mit dem zu begnügen, was du jetzt weißt?«
    Ich seufzte. »Das waren jetzt viele Fragen, aber noch kein Rat.«
    Avram nahm die Hand von meinem Arm und deutete auf Élodie. »Schau, wer da sitzt, Jakko. Eine kluge und schöne Frau, die dich liebt und die, seit du sie liebst, noch schöner geworden ist.«

    Élodie lachte. »Auch noch klüger?«
    »Das wäre nicht zu ertragen. Demnächst kehrt die Herrin des Hauses zurück - jene, der man gehorchen muß. Ein guter Zeitpunkt, um in den Ungehorsam und die Freiheit zu entschwinden. Warum nimmst du nicht dein Geld, dein bisheriges Leben, diese Holde da und deinen Verstand zusammen und begibst dich mit ihr an einen Ort, an dem euch niemand stört? Außer vielleicht, wenn ihr ihn haben wollt, ein minderwertiger Handlanger, der bestimmt bald eine guterhaltene, warmherzige Witwe findet, wo auch immer?«
    »Avram, ich fürchte, aus dir wird doch nie ein guter Heide. Rat willst du mir geben und stellst statt dessen Fragen. Sagt man euch Juden nicht nach, daß ihr eine Frage immer mit einer Gegenfrage beantwortet?«
    Er hob die Schultern. »Und warum soll ich eine Frage nicht mit einer Gegenfrage beantworten? Und warum soll ich dir einen Rat aufdrängen, wenn er in den Fragen enthalten ist, die du dir beantworten sollst, nicht mir?«
    »Was meinst du, Liebste?«
    Élodie schüttelte den Kopf. »Ich mag nicht zwischen dir und deiner Rache stehen. Ich gehe mit dir, wohin du willst, aber erst dann, wenn du nicht mehr zwischen mir und der Rache wählen mußt.«
    Avram ächzte laut. »Was gibt’s da zu wählen? Sieh sie an, Jakko! Drei häßliche Männer hast du getötet - laß den vierten laufen! Zamora oder Élodie … Ich wüßte, wen ich nähme. Aber mich fragt ja keiner. Wieso fragt mich eigentlich keiner?«
    »Ich frage dich. Morgen reite ich, und auf dem Weg werde ich grübeln. Wenn ich beschließe, nicht länger hinter Zamora herzulaufen, sondern hinter Élodie, wirst du dann mit uns kommen?«

    Avram sah mich von der Seite an. »Ich werde sogar in deiner Abwesenheit auf Élodie einreden, damit sie es sich nicht anders überlegt.«
     
    Am nächsten Morgen brach ich auf, und unterwegs änderte ich mindestens einmal pro Meile meine Entscheidungen. Zwischendurch dachte ich an die Eltern, an Kassem, an Jorgo und seine mir immer noch rätselhaften letzten Worte, an Laura, an Élodie, an geteilte Nächte und lange Gespräche und Wein und Albernheiten, dann wieder an Blut auf einer scharfen Klinge, an all die Toten im Hunsrück, im Bauernkrieg, in Rom, in Wien. Und je nachdem, woran ich zuletzt dachte, beschloß ich, bei Élodie zu bleiben oder Zamora zu verfolgen.
    Der Sekretär des Kaisers hatte Mühlhausen erreicht; indem ich einem seiner Sekretäre zehn Goldgulden gab, erreichte ich es, daß ich ein paar Augenblicke mit dem hohen Herrn sprechen konnte. Ja, er hatte vor einigen Tagen in Mömpelgard den Welsern die nötigen Briefe und Siegel ausgehändigt; und ja, da ich als Nachzügler noch zu ihnen stoßen wolle, werde er dies auch mir nicht vorenthalten. Ich müßte mich jedoch beeilen, wenn ich sie noch einholen wollte, ehe sie sich in Antwerpen nach Sevilla einschifften.
    Zwei Tage hatte ich für den Hinweg gebraucht, einen Tag in Mühlhausen verbracht. Auf dem Rückweg rang ich weiter mit mir. Nun hatte ich die nötigen Papiere, aber wollte ich sie verwenden? Sollte ich sie nutzen? Sollte ich sie aufbewahren, um mich in meinem Alter zu fragen, welcher Teufel mich in der Jugend geritten hatte? Bei alledem lauerte weit hinten in meinem Schädel ein anderer Gedanke, besser: ein undeutliches Gefühl. Das Gefühl, etwas übersehen zu haben. Schließlich wischte ich alles andere beiseite, und als ich an einem
strahlenden Frühlingsnachmittag Straßburg erreichte, stand mein Entschluß fest.
    Selbst wenn der Frühling sich verfrüht hätte, der Winter wiederkehrte, der Himmel Schnee und Hagel absonderte, die Wege Schlamm und Pfützen wären - ich würde nicht nach Amerika reisen, nicht länger den Moloch Alonso Zamora verfolgen. Und während ich ritt und vor mich hin summte, überlegte ich, wo Élodie und ich, von Avram begleitet, die nächsten Jahre verbringen könnten.
     
    Ich kam zu spät. Die Beerdigung hatte am Vormittag stattgefunden. Der Weg von Mömpelgard nach Antwerpen führt über Straßburg. Zamora - oder einer der sechs anderen Söldner - hatte nachsehen wollen, wie es dem alten Gefährten Marañón ging. Die Schreiber der

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