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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Welser ritten voraus, Zamora und ein weiterer Spanier kamen zum Gasthaus. Als sie erfahren hatten, daß Marañón gestorben war, sagte Zamora, dann wolle er wenigstens, um nicht ganz umsonst den Umweg gemacht zu haben, vom Fleisch der Schankmagd kosten. Avram, der am Tisch gesessen hatte, wollte aufspringen; ehe er stand oder zu einer Waffe hätte greifen können, rammte Zamora ihm den Degen in den Leib. Der andere Soldat hielt den Wirt fest, während Zamora sich auf Élodie stürzte. Sie wehrte sich verzweifelt, trat, kratzte und biß, aber Zamora war zu stark. Als er mit ihr fertig war, brach er ihr das Genick. Dann schlug er den Wirt nieder, den abends zufällige Gäste bewußtlos auf dem Boden des Schankraums fanden, neben den Leichen von Élodie und Avram.

NEUNUNDZWANZIG
    D er Weg von Straßburg nach Sevilla ist weit; ich erinnere mich jedoch kaum an ihn. Ich glaube, man könnte sagen, daß mein Körper auf dem Pferd saß, gelegentlich abstieg, vermutlich aß und trank und schlief. Ich weiß nicht mehr, wo meine Seele herumlungerte und sich mit meinen Gedanken balgte. Ich sehe, wenn ich die Augen schließe, einige Gesichter vor mir, Landschaften, zwei oder drei Tavernen, ein paar Brücken und Fähren und endlose Meilen staubiger oder schlammiger Straßen.
    Wahrscheinlich hatte ich Glück auf dieser Reise, auf der ich zumindest anfangs nicht bei mir war. Weder geriet ich in Kriegszüge, noch wurde ich von Räubern behelligt. Manchmal schloß ich mich anderen an, Pilgern zumeist, die unterwegs waren zum Grab des Apostels in Santiago; lange Strecken ritt ich allein, und zwei- oder dreimal begleitete ich Gruppen von Händlern.
    Das genannte »Glück« könnte allerdings nicht nur Zufall gewesen sein. Die düstere wiewohl unsichtbare Wolke, die mich umgab und mir die Welt entzog, mag auch mich der Welt entzogen haben, so daß ich gewissermaßen als schweifender Einsiedler neben, aber nicht mit den übrigen ritt, in einer Anderwelt.
    Merkwürdig ist, daß ich einen Brief des Vizekönigs von Navarra besitze, in dem dieser - Martín Alfonso Fernández de Córdoba, Graf von Alcaudete - mir eine »erfreuliche
Unterredung« bescheinigt und mich einigen Freunden oder Verwandten in Burgos, Valladolid und Toledo empfiehlt. Ich kann mich weder ans nördliche Navarra noch an die Pyrenäen noch ans südliche, zu Spanien und damit dem Reich gehörige Navarra erinnern.
    Mit dieser minderen Ausnahme: In Viana suchte ich die Verwandten von Gonzalo Marañón auf, die tatsächlich eine Garküche und Pilgerherberge betrieben. Der Vater war längst gestorben, die Mutter lebte noch und half Gonzalos jüngerem Bruder und seiner Frau in der Wirtschaft. Ich gab ihnen den Beutel, den Élodie unvermindert gelassen hatte, und erzählte die wenigen Einzelheiten, die ich vom Leben und Sterben des Arkebusiers berichten konnte.
    Ich glaube, daß ich mein Leben oder jedenfalls mein inneres Leben der Fiedel verdanke. Ich hatte sie mitgenommen und war mehrmals versucht, den kleinen Kasten, der sinnloses Gepäck war, in eine Schlucht oder auf einen Abfallhaufen zu werfen. Eines Abends - es muß kurz hinter Viana gewesen sein; vielleicht hatten mich die Gespräche mit Gonzalos Verwandten belebt - saß ich unter einer Ulme am Wegrand. Mein Lager war bereitet, ich hatte notdürftig gegessen und sah zu, wie das Feuer verglomm und Sterne den Himmel zerstachen, wie glühende Nadelspitzen sich durch Samt bohren mögen. Meine Hände machten sich selbständig; ich bemerkte, daß ich die Fiedel spielte, wahrscheinlich schon eine ganze Weile gespielt hatte.
    Als ich später aufblickte, erschienen mir die Sterne nicht mehr so feindlich, der Himmel nicht wund. Von da an spielte ich jeden Abend, aber auch, wenn ich mit anderen war, spielte ich für mich. Oder um mich herum; ich weiß nicht, wie man dies beschreiben soll. Es war, als würfe ich Klangschlingen,
die streunenden Fetzen meiner Seele zu fangen und zu bündeln.
    Und mit diesen Fetzen auch Gedankentrümmer. Andere mögen anders denken; bei mir war es gewöhnlich immer so, daß mir von den Umständen, den Menschen oder dem Wind etwas gegeben oder zugeweht wurde, und daraus ergaben sich weitere Gedanken, aus denen ich allmählich ein Gebilde verfertigte, oder daß ich gewissermaßen zielgerichtet Gedanken verband und schichtete, wie man aus abgewogenen Steinen ein Haus baut. Diese beiden Formen kannte ich, ebenso wie alle möglichen Mischungen.
    Damals aber war es, als zöge ich mit der Schlinge der Musik

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