Die Rache des Kaisers
aus einer Art Tümpel oder Treibsand Bruchstücke, die einmal zusammengehört hatten und sich von selbst wieder zusammenfügten. Ich mußte nichts dazutun; ich konnte aber auch nichts davon wegnehmen. Plötzlich wußte ich, daß ich wie meine Feinde geworden war. Nicht erst in der finsteren Zeit zwischen Lauras Heirat und dem seltsamen Erwachen in Breda, sondern viel früher. Um sie zu jagen und zu töten, hatte ich wie sie werden müssen: ein Jäger und Töter. Sie, ihre Tat, die geschworene Rache oder ich selbst - es war gleich, was mich so gemacht hatte. Es zählte allein, daß ich mich kaum von ihnen unterschied.
Piranesi, Sohn einer Hure aus Florenz; Haspacher, Kind armer Tagelöhner aus Köln; Castelbajac, Bauernsohn aus der Gascogne; Zamora, von dessen Herkunft ich nichts wußte; und ich. Vielleicht hatten sie keine Möglichkeiten gehabt, anders zu werden; mir hatten sie die Möglichkeit genommen … Oder hatte ich sie mir selbst genommen? War die Rache vielleicht nur ein Vorwand, das mit Grund zu tun, was ich sonst auch ohne Grund getan hätte? Und wie konnte ich je wieder der werden, der ich eigentlich sein wollte?
Durch das Ende der Rache? Die Gnade eines unglaubhaften Gottes?
Derlei Gedanken lichteten die Finsternis, die mich umgab, ohne sie ganz zu vertreiben. Aber irgendwann auf der langen Reise löste sich die dumpfe Dunkelwolke; ich nahm wieder Anteil am Leben der anderen und der Welt, und ich lernte Spanisch, wobei mir Latein, Italienisch und Französisch sehr hilfreich waren. Spätestens in Sevilla - und in Bruchstücken bereits unterwegs, durch Gespräche in Tavernen und auf den Wegen - erfuhr ich auch mehr über das Abenteuer Venezuela. Was man davon in Straßburg gewußt hatte, entsprach nicht recht der Wahrheit, und auch die Schreiber der Welser hatten offenbar keine weitergehenden Kenntnisse gehabt. Natürlich hätte ich den kaiserlichen Sekretär in Mühlhausen fragen können, doch war ich wohl davon ausgegangen, daß alles so sei, wie es zu sein schien.
Tatsächlich hatte nicht der Kaiser vorgeschlagen, seine Schulden dadurch zu begleichen, daß er den Bankherren einen Teil der neuen Länder jenseits des Meeres zur Ausbeutung überließ. Es waren die Welser selbst, die dies vorgeschlagen hatten, als sie des Wartens auf Schuldentilgung überdrüssig wurden: ein Lehen in Amerika. Und Karl V. überließ ihnen Venezuela.
Bereits vor mehr als zwei Jahren, im März 1528, hatte man in einem zu Madrid abgefaßten Vertrag die Bedingungen geregelt. Die Welser durften Gouverneure und Amtmänner einsetzen und wurden befreit von der Salzsteuer und von sämtlichen Zöllen und Gebühren, die ansonsten im Hafen von Sevilla fällig gewesen wären. Sie durften Teile der Ureinwohner des Landes, der Indios, zu Sklaven machen und afrikanische Sklaven einführen. Von den Welsern angesiedelte Einwanderer sollten jeweils ein Stück Ackerland bekommen.
Die Welser mußten ferner zwei Städte gründen und besiedeln und drei Festungen bauen. Ein Zehntel der Gold-, Silber- oder Edelsteinfunde erhielte der spanische König. Die Casa de Contratación hatte die Grenzen festgelegt.
Im Jahr darauf, 1529, ein Jahr vor meinem Ritt nach Sevilla, ging Ambrosius Alfinger, manchmal auch Ehinger geschrieben, als erster Gouverneur von Klein-Venedig mit fast dreihundert Siedlern nach Santa Ana de Coro, das er Neu-Augsburg nannte. Im August 1529 stieß er von dort nach Westen vor, wo es an einem See zu blutigen Schlachten mit den Coquibacao-Indios kam. Er gründete dort die Stadt Neu-Nürnberg, die aber, wie der große See, zugleich auch nach dem Namen des gefallenen Fürsten der Coquibacao, Maracaibo, genannt wurde.
Jene »Welser«, die Zamora und die anderen Soldaten als Geleitschutz verpflichtet hatten, waren lediglich ein paar Schreiber und zur Verwaltung der neuen Lande vorgesehene Beamte gewesen; die eigentliche »Reisegruppe« waren künftige Siedler, die auf anderen Wegen nach Antwerpen gelangten und dort warten mußten, bis die Schreiber und Amtleute mit den nötigen Briefen zu ihnen kamen.
Auch ich mußte warten - in Sevilla, jedoch nicht auf Welser, nicht einmal auf spanische Schreiber, die angesichts meiner Briefe und Siegel beinahe zuvorkommend waren. Aber es gab kein Schiff, das nach Venezuela gehen sollte und Platz für mich gehabt hätte. Es warteten Spanier, die dort - Welser hin oder her - siedeln oder kämpfen und plündern wollten, es stapelten sich Nachschubgüter, Waffen, Munition, und unterhalb der Stadt
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