Die Rache des Kaisers
zeigte man mir einen großen Pferch mit Pferden und Rindern, die in Amerika dringend benötigt wurden; dringender als ich jedenfalls.
Nach zwei Monaten wartete ich immer noch, der Sommer
hatte seinen Höhepunkt hinter sich, und allmählich begann ich zu befürchten, daß ich vor Beginn der Herbststürme den Ozean nicht mehr würde überqueren können.
Der Hafenbeamte, den ich zum zwanzigsten oder dreißigsten Mal aufsuchte - immer mit einer Münze oder einem Wein -, seufzte, als er mich kommen sah.
»Noch immer nichts; kein Platz auf den Schiffen, die nach Coro de Santa Ana gehen.«
»Wenn ich jemals hinkommen soll, muß ich vielleicht einen Umweg machen«, sagte ich.
Der Mann stülpte die Lippen vor. »Eure Briefe, Caballero, gelten aber nur für Venezuela.«
»Brauche ich denn für ein anderes Ziel auch so etwas?«
Er zwinkerte. »Wenn ich behaupte, es gesehen zu haben … Morgen geht ein Schiff nach Santo Domingo, auf La Isla Española, wißt Ihr?«
Ich überlegte nicht lange.
»Bringt mich darauf unter, ja?«
Santo Domingo auf der großen Insel Hispaniola. Ich hatte gehört, daß es dort inzwischen, seit achtzehn Jahren, sogar eine Universität gab. Und von dort mußte es möglich sein, Venezuela zu erreichen - wahrscheinlich leichter als von Sevilla aus.
Das Schiff war eher ein schwimmender Tierpark, zu diesem Zweck mehrmals umgebaut, und pendelte seit Jahren zwischen Sevilla und den Häfen jenseits des Meeres. Es stank nach den Äußerungen all der Jungtiere: Fohlenäpfel, Kälberfladen, Lämmerköttel; und es hallte wider vom Wiehern, Blöken, Meckern, nicht zu vergessen auch das Gackern eines guten Gros von Hühnern und das Krähen der sieben Hähne. Der Kapitän hatte Stockschnupfen und ein Pferdegesicht,
und die Matrosen verständigten sich durch eine Art Gebell. Merkwürdig, wie sich Menschen im Lauf der Zeit manchmal dem angleichen, womit sie Umgang pflegen; ich habe Schäfer gesehen, deren Gesicht morgens einem Hammel und abends einem Hütehund zu gehören schien, graue Eseltreiber, schlüpfrige Schlangenfänger, und mancher Bauer hat einen rechten Kohlkopf. Es mag aber auch sein, daß derlei von vornherein in ihnen steckte und sie nichts anderes werden konnten.
Ich hatte mich mit Decken, Proviant und Büchern ausgerüstet und verbrachte die meiste Zeit auf dem leicht erhöhten Vorderdeck. Nach und nach gelang es mir, das Sprachgemenge der Besatzung zu verstehen; die Männer kamen von den Kanarischen Inseln, aus Andalusien, Portugal und der Berberei, und dazu gab es zwei karibische Sklaven, die die Tiere versorgten.
Der Kapitän war um die Sechzig und hieß Flores. Abgesehen von den langen gelben Pferdezähnen und der dauerverstopften Nase zeichneten ihn scheußliche Geschwüre und Pockennarben aus. Am ersten Abend lud er mich aufs Achterdeck zu Brot, Wein und Käse. Mit einiger Verblüffung stellte ich fest, daß in diesem häßlichen Leib eine poetische Seele schmachtete; Flores konnte die gesamte Divina Commedia des Dante Alighieri auswendig und hatte vor zwanzig Jahren eines der Kriegsschiffe befehligt, die in den Gewässern zwischen Neapel und Sizilien Franzosen jagen, spanische Truppen befördern und manchmal berberische Seeräuber bekämpfen mußten. Aber nie, sagte er, habe er so viele Menschen in die Höllenkreise geschickt wie auf den westindischen Inseln.
»Unabsichtlich, gestehe ich.« Er faßte sich ins Gesicht, berührte eine der Pockennarben. »Damit. Sie sind zu Tausenden
gestorben. An den Pocken, sogar an einfachen Erkältungen. Warum? Ich weiß es nicht. Aber sie sind Menschen, kein Zweifel, ganz gleich, was die Kirche darüber denkt. Nur Menschen können so erbärmlich verrecken.«
Eine weitere Überraschung wartete bei den Kariben auf mich. Mit einem der beiden, Caonabo, gelangte ich in den Wochen der Überfahrt zu einer vorsichtigen Freundschaft. Er sprach geläufiges Spanisch und erzählte mir, sein Name sei der des großen Kaziken, der vor sechsunddreißig Jahren die erste von Kolumbus gegründete Festung, La Navidad, zerstört und die Besatzung niedergemacht hatte. Inzwischen sei nicht einmal mehr ein Zwanzigstel der ursprünglichen Bevölkerung übrig; Krankheiten und Sklaverei hätten dafür gesorgt. Übrigens gehöre er nicht dem Volk der Kariben an, sondern sei ein Ciboney, aber die Spanier bezeichneten alle, gleich ob Ciboney, Quisqueya oder Arawak, mit dem Sammelnamen Kariben.
»Ich weiß nicht, ob die Götter mich verschont haben, damit ich länger
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