Die Rache des Kaisers
leide, oder weil ich Großes tun soll. Tiere füttern zum Beispiel.«
»Hat dein Volk immer schon auf La Española gelebt?«
»Wir nennen die große Insel Aytí«, sagte er, »und die Alten haben, als sie noch lebten, Geschichten von den Ahnen erzählt, großen Kriegern, die von einer anderen Insel gekommen sind und Aytí erobert haben. Und nun sind andere große Krieger gekommen, mit Feuerwaffen und Krankheiten.«
»Wahrscheinlich hat vor ein paar hundert Jahren ein anderer Caonabo, der einem von den Ciboney besiegten Volk angehörte, eine ähnliche Geschichte erzählt.«
Er bleckte die Zähne. »Ist das auch bei euch so? Du klingst, als ob du so etwas schon gehört hättest.«
Ich breitete die Arme aus, und ein vorbeischlenderndes Zicklein leckte an meinen Fingerspitzen. »Wo ich herkomme, wohnte einmal ein Volk. Sie hießen Kelten. Nach ihnen kamen andere, die Germanen, und haben die Kelten nach Westen vertrieben. Dann kamen von Süden andere, die Römer, und in der Heimat der Spanier ist es ähnlich. Sie haben ihr Land von den Mauren erobert, die es den Goten stahlen, die die Römer vertrieben haben, welche die Karthager vernichtet hatten, die es den Iberern genommen haben. Es ist überall so, fürchte ich. Vor den Iberern waren andere in Spanien, vor den Kelten waren andere in meiner Heimat. Immer war schon jemand da, und immer kommen neue hinzu.«
Er schwieg einen Augenblick, dann neigte er den Kopf. »Ich danke dir«, sagte er.
»Wofür dankst du mir?«
»Da ich durch dich nun weiß, daß es immer und überall so ist, fühle ich mich nicht mehr allein.«
»Die Götter, die dich vielleicht für Schlimmeres verschont haben, sind immer und überall gnadenlos«, sagte ich. »Vielleicht hätten sie, als sie uns erschaffen haben, dafür sorgen sollen, daß alle da bleiben, wo sie aufwachsen.«
»Du meinst, dann wird niemand erobert, gemetzelt, vertrieben?«
Ich nickte.
»Ah.« Er grinste plötzlich. »Aber wäre das nicht ein furchtbar langweiliges Leben, wenn alle immer nur zu Hause blieben?«
Das Wetter schlug um, scharfer Nordwind trieb uns weit nach Süden, und Kapitän Flores sagte, ehe alle Tiere krank oder von einem der nächsten Brecher über Bord gespült würden,
wolle er den Kurs ändern - lieber die Tiere woanders mit Verlust verkaufen als alles verlieren.
Drei Tage später liefen wir in den kleinen Hafen von Coro de Santa Ana ein. Ich sagte mir, die schlimme Zeit der ungünstigen Zufälle sei offenbar vorüber. Aber ich irrte mich. Als ich an Land ging, um erste Fragen zu stellen und später in der mehrere Meilen entfernten eigentlichen Stadt mit der Suche nach Zamora zu beginnen, geriet ich zunächst an einen deutschen Hafenmeister. Es dauerte eine Weile, bis er Zeit fand, meine Fragen anzuhören; Flores’ Ladung war wichtiger. Schließlich schickte er Boten los, abgemagerte Indioknaben, um einige Verwalter und die Sprecher der Siedler zu benachrichtigen.
»Und nun zu Euch, Landsmann«, sagte er. »Was führt Euch her? Wollt Ihr siedeln? Land kaufen? Gold suchen?«
»Nichts von alledem, Herr. Wo kann ich mich nach einem spanischen Soldaten erkundigen, der vor ein paar Monaten mit einer Siedlergruppe angekommen sein müßte?«
Der Hafenmeister wackelte mit dem Kopf. »Ungut, ungut«, murmelte er. »Es gibt viel Ärger mit den Spaniern. Einige sind einfach verschwunden, ein paar sind tot.«
»Ärger welcher Art?«
»Es gab hier ja schon Spanier, als wir gekommen sind, und die meisten mögen nicht unter unserer Verwaltung leben. Sie sagen, wir mißhandeln die Indios und machen alles falsch, aber das gehört nicht hierher. Welchen Soldaten sucht Ihr denn? Sagt mir den Namen - vielleicht steht er auf der Liste der Gesuchten.«
»Alonso Zamora«, sagte ich.
»Ha! Nach dem brauche ich nicht erst zu suchen.« Der Hafenmeister musterte mich mißtrauisch. »Ein Freund von Euch?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ein Feind.«
»Das spricht für Euch. Er ist entflohen, als wir ihn festnehmen wollten, und dabei hat er drei Männer getötet.«
»Dabei? Hm. Und weshalb wolltet Ihr ihn festnehmen?«
Der Hafenmeister klopfte an eine offene Kiste, in der allerlei Papiere lagen. »Hier fangen alle neu an«, sagte er. »Die meisten Dinge, gute wie böse, bleiben in der Heimat zurück, und wenn einer in Spanien etwas Böses getan hat - nun ja, sollen sich die Spanier darum kümmern. Aber in den deutschen Landen … Wißt Ihr, manche sind vor schlimmen Grundherren geflohen, und wenn die nach ihnen
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