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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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streiten. Bis heute weiß ich nicht, was leichter ist: Liebe verbergen oder Haß verhehlen. Haß ist jedoch ein zu großes Wort für das, was ich dem einen oder anderen gegenüber empfand; besser sollte ich sagen, daß ich lernte, Abscheu nicht zu zeigen.
    Von Karl und Jorgo lernte ich, den Gebrauch von Waffen zu verbessern und den Gebrauch von Menschen zu erfassen. Was ich zuvor nicht einmal geahnt, ja in jugendlicher Überheblichkeit geleugnet hatte, sah ich bei diesen beiden jeden Tag. Ein wenig auch bei Dengler, doch war er nicht so weit herumgekommen wie die beiden. »Gebrauch« von Menschen mag verwerflich klingen, aber wie soll ich es sonst nennen - die Fähigkeit, Menschen schnell einzuschätzen, ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechend einzusetzen
und möglichst keinen zu verletzen? Gerechtigkeit gegen jedermann walten lassen? Aber Gerechtigkeit behandelt alle gleich, nicht jeden anders; wie alle Tugenden ist sie gnadenlos, und das, was ich bei Jorgo und Karl sah, hatte nichts mit Tugend gemein, denn es geschah nicht aus sich heraus, sondern diente einem Zweck: alle zu einem Werkzeug zu formen.
    Irgendwann im Verlauf dieses Lernens begriff ich, daß Karl und Jorgo etwas besaßen, was ich trotz allen Eifers nie würde erwerben können: die Gabe, Männer in den Sieg und in den Untergang zu führen. Denn es ist eine Gabe, keine erlernte Fähigkeit; durch Lernen kann man sie verfeinern, jedoch nicht erringen. Später habe ich es bei anderen gesehen; Leyva und Frundsberg hatten es, und in gewisser Weise verfügte auch Kassem darüber. Ich konnte es nur erfühlen, staunen und … folgen.
    Neue Lieder und Melodien lernte ich auch an den langen Feuerabenden, wenn ich mit der Fiedel wortlos scherzen oder klagen wollte und immer wieder ein Bauer, angeregt vielleicht durch eine Tonfolge, aufsprang und ein Lied aus seiner Heimat sang oder einen Tanz begann. Ich glaube, daß ich eher recht als schlecht durch den Winter kam, lag eher an meiner Fiedelei als an dem, was ich vor allem tat und wobei ich am meisten lernte: Ich wurde einer der Feldschreiber dessen, was man später den Odenwälder Haufen nannte.
    Einige - wenige - Bauern konnten ein paar ungelenke Zeichen kritzeln, manche sogar Kleckse zustande bringen, die Ähnlichkeiten mit ihren Namen hatten. Nicht mehr. Dabei gab es viel zu schreiben und noch mehr zu lesen. Anweisungen, Empfehlungen, Berichte, Bestellungen, Ersuchen um Lieferung von Nahrungsmitteln, Waffen, Tieren oder Stoffen. Der Nachschub mußte geregelt, Erkundigungen
über den Zustand von Wegen mußten beschafft werden. Mit anderen Lagern in anderen Gegenden - im Elsaß, am Bodensee, im Allgäu, in Franken, Thüringen, Schwaben und der Schweiz - waren Nachrichten und Anfragen auszutauschen. Vom Rat beschlossene Regeln und Pläne waren aufzuschreiben, ebenso die von Räten und den wenigen erfahrenen Kriegern festgelegten Feldordnungen, Befehlsketten, allerlei Vorkehrungen.
    Und natürlich die Klagen der Bauern, ihre Anliegen und Forderungen an Klöster, Burgen, Städte und das Reich. Dies war die eigentliche, die wichtigste Arbeit. Dengler sagte, sie werde überall erledigt, in allen Zusammenschlüssen.
    »Es gibt immer mehrere Möglichkeiten.« Er rieb sich die Augen; es war ein weiterer langer Arbeitstag gewesen, jener Tag, an dem mittags Meister Wendel erschien, ein paar Stunden blieb, Leute aufmunterte, andere tadelte, sich mit dem Rat besprach und dann schnell wieder fortritt. Nach Öhringen, wie es hieß, wo er ein weiteres Winterlager von Bauern besuchen und die Vorbereitungen für das Frühjahr vorantreiben wolle. Ich hatte ihn nur aus der Ferne gesehen.
    »Mehrere Möglichkeiten«, wiederholte Dengler. »Wir haben sie heute mittag wieder und wieder beredet. Wir haben Forderungen, die wir für gerecht halten. Vielleicht werden das Reich und die Gerichte sie annehmen, wenigstens in Teilen, dann müssen wir nicht kämpfen. Die Klöster und die kleinen Fürsten werden sie nicht hinnehmen, soviel ist gewiß. Wahrscheinlich müssen wir sie zwingen; ich glaube nämlich nicht, daß der Kaiser es tun wird.«
    »Das heißt«, sagte Jorgo, »daß wir Krieg und Frieden zugleich vorbereiten sollen. Falls du’s nicht verstanden hast, Jakko.«
    Im Kamin des Ratsraums war nur wenig Glut verblieben;
zu spät, um weitere Scheite aufzulegen. Jorgo hatte die Ellenbogen auf den Tisch gestemmt und stützte das Kinn auf die gefalteten Hände. In seinem Krug war noch ein Rest dünnen warmen Biers; meiner war

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