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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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leer.
    »Ich habe das verstanden«, sagte ich. »Was ich nicht verstehe, ist, daß es nicht mehr Einigkeit gibt.«
    Karl bewegte das Gesäß; der Schemel knackte unter ihm. »Wen oder was meinst du?«
    »Die Prediger, zum Beispiel. Sie berufen sich auf Luther, aber zugleich verfluchen sie ihn. Und jeder von ihnen hat andere Vorstellungen, wie man das Unrecht beseitigen und das Neue Reich aufbauen sollte.«
    »Verfluchen sie ihn?« Jorgo rümpfte die Nase. »Ich kann’s verstehen; ich mochte ihn nicht.«
    »Kennst du ihn? Es klingt, als hättest du ihn getroffen«, sagte Karl; er hob den Kopf und schaute Jorgo neugierig an.
    »Wir haben ihn besucht, vor, ah, dreieinhalb Jahren, auf der Wartburg«, sagte Jorgo. »Unser damaliger Herr, ein weitgereister arabischer Fürst, sagte hinterher: ›Ich mag diesen Mullah nicht‹. Ging mir ähnlich.«
    »Mullah?« Dengler schüttelte den Kopf. »Was ist das? Ich kenne das Wort nicht.«
    »So etwas wie ein Dorfprediger«, sagte ich, »oder der weise Mann des Orts.«
    »Warum habt ihr ihn nicht gemocht?« sagte Karl. »Ich dachte immer, alle, die ihn sehen und hören, lieben ihn.«
    »Es ist, ah, sag du’s, kleiner Bruder.«
    »Er hat die Freiheit gegeben und sie sogleich wieder genommen«, sagte ich.
    »Wie meinst du das?« Karl blinzelte.
    »Er hat uns gezeigt, daß man über Gott und Christus und
die Kirche und die Welt anders denken und reden kann als der Papst. Aber er ist dagegen, daß jemand anders denkt und redet als … Martin Luther. Er wollte die starre, verkommene, alte Lehre erneuern, aber er mag nicht dulden, daß einer nun seine Lehre ändert oder erneuert.«
    Karl schwieg ein paar Atemzüge lang; dann sagte er halblaut: »Er hat es geschrieben. ›Ich will meine Lehre ungerichtet haben von jedermann, auch von allen Engeln. Denn da ich ihr gewiß bin, will ich durch sie euer und auch der Engel Richter sein, daß, wer meine Lehre nicht annimmt, nicht möge selig werden‹. Oder so ähnlich.«
    »Müntzer war hier«, sagte Dengler plötzlich. »Vor einiger Zeit, ehe ihr gekommen seid. Er sagt, Luther hat sich auf die Seite der Fürsten gestellt und spricht gegen die Anliegen der Bauern und Handwerker und vieler Bürger. Martinus der Doktor Fürstenknecht.«
    Karl gähnte und stand auf. »Ihr werdet diese Fragen heute nicht beantworten können«, sagte er. »Und die Prediger? Nun ja, wir brauchen sie, weil die Bauern das Reich Gottes errichten wollen und es ohne geistliche Leitung nicht können. Wir brauchen sie, weil sie lesen und schreiben können. Aber sei sicher, Jakko: Nichts, was sie sagen und schreiben, wird Bestand haben, wenn es nicht von den Räten, von Hipler und den anderen gebilligt wird. Kümmere dich nicht so sehr um sie, sondern um das, was die Bauern erzählen. Wir wollen alle Klagen und Anliegen in einer großen Denkschrift zusammenfassen, und wie Meister Wendel sagt, wird diese Arbeit in allen Lagern getan. Sieh zu, daß nichts, was wichtig ist, ausgelassen wird. Und nun schlaft gut.«
     
    Die meisten Bauern hatten Vorräte für den Winter mitgebracht, die jedoch nicht ausreichten. Natürlich durfte nicht
geplündert werden, denn im Frühjahr sollten sich möglichst viele Landleute der Erhebung anschließen. Also wurde alles, was wir benötigten, in den binnen eines Tages erreichbaren Dörfern und auf Bauernhöfen gekauft.
    Manche Dinge waren allerdings nur in Städten zu beschaffen, und es befriedigte mich kaum, daß mein Geld dabei Verwendung fand. Ausgerechnet Junker Leopold wurde von Dengler damit betraut, für mich Papier, Tinte und Federn zu besorgen; das Schreibzeug, das ich mitgebracht hatte, genügte kaum für die ersten drei oder vier Tage.
    Als der Junker zurückkehrte und vom Pferd stieg, wäre er beinahe gestürzt. Torkelnd - ich sah es durchs Fenster des Ratsraums, in dem ich mit einigen Bauern saß und schrieb - überquerte er den Platz zwischen den Gebäuden und kam zu uns. Seine Augen waren rot und unterlaufen, und er stank nach Wein.
    »Da«, sagte er; dabei ließ er ein in ein Tuch gewickeltes Bündel neben mir fallen: nicht auf den Tisch, sondern auf den Boden. Dann deutete er auf mich, öffnete den Mund, schloß ihn wieder, plumpste neben das Bündel, lehnte den Rücken an die Wand und begann zu schnarchen.
    In den folgenden Wochen setzte sich für mich aus Hunderten Gesprächen mit den Bauern ein Bild des Grauens, der Mißhandlungen und Ungerechtigkeiten zusammen, das ich nach und nach in sachlicher Sprache niederzulegen

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