Die Rache des Kaisers
anwerben, was viel zu wenig war. Zugleich aber befanden die Reichsfürsten, den bisherigen Nachrichten sei nicht zu trauen; man möge bewährte Männer aussenden, um sich zu versichern, daß die Türken tatsächlich kämen.
Später soll der Großwesir Ibrahim Pascha einer Gesandtschaft Ferdinands gesagt haben, es sei verwunderlich, daß dieser selbst in äußerster Not von Land zu Land reisen müsse, um zu betteln, und daß er sogar dann die Mittel für den Krieg nicht zusammenbringe, für die schließlich die ärmsten Untertanen aufkommen müßten. »Dagegen genügt ein Wink des Padischah, um die unermeßlich zahlreichen Kriegerscharen zweier Weltteile zu versammeln, und« - hier wies er aus dem Fenster auf die Spitzen einiger Gebäude - »sieben
hohe Türme, mit Schätzen gefüllt, sind ihm jederzeit verfügbar.«
Und während das Heer des Sultans vorrückte, wurde im Reich um jeden Gulden gefeilscht. Für die verheißenen, aber noch anzuwerbenden siebentausend Landsknechte und eintausendsechshundert Reiter wurden folgende monatliche Soldzahlungen festgesetzt: Hauptmann vierzig Gulden, Fähnrich zwanzig, Landsknecht vier, Schreiber zwölf, ferner sollte jedes Fähnlein fünfundvierzig Gulden »Übersold« erhalten, für Unvorhergesehenes und »Sonstiges«, und es gab Festsetzungen für Hilfsschreiber, Pferde, Wagen … Für Pulver und Blei ist in den Listen nichts zu finden, ebenso wenig für Nahrung. Selbst wenn die vorgesehenen achttausendsechshundert Kämpfer sämtlich einfache Landsknechte gewesen wären, hätte man ohne Werbegeld allein für den ersten Monat über vierunddreißigtausend Gulden an Sold gebraucht, ohne Fourage und »Sonstiges«. Die für die Anwerbung zuständigen Jakob von Werdenau und Kunz Gotzmann erhielten zusammen jedoch nur einen zu verrechnenden Vorschuß von viertausend Gulden - im übrigen gottbefohlen.
Das Heer des Padischah bestand aus bewaffneten Reitern - sipahi genannt -, und zwar etwa achtzigtausend aus dem europäischen und fünfzigtausend aus dem asiatischen Teil des Reichs. Hinzu kamen etwa zwanzigtausend Mann der Kerntruppe, der »Janitscharen«, etwa dreißigtausend leichte Reiter für Streifen und Aufklärung, »Akindschi«, außerdem die für Geschütze zuständigen Einheiten und Truppen für besondere Arbeiten wie Belagerung, Brückenbau, Schiffbau. Mit einigen kleineren Gruppen von Fußkämpfern und dem Troß - zu dem auch zweiundzwanzigtausend bestaunte
Kamele gehörten - umfaßte das Heer nach glaubwürdigen Berichten fast dreihunderttausend Mann; zum Oberbefehlshaber, »Serasker«, ernannte der Padischah seinen Großwesir Ibrahim Pascha.
Das größtenteils bereits eroberte Ungarn betrachtete der Sultan als Teil des Osmanischen Reichs; sein Kriegsziel war es, Ungarn und angrenzende Gebiete zu sichern. Dazu mußte er Ferdinand schlagen und unterwerfen, und dazu wiederum war es unabdingbar, nach Deutschland vorzudringen. Das erste Hauptziel mußte also Wien sein, wo Suleyman möglicherweise den Winter würde verbringen müssen, um den Feldzug im folgenden Jahr fortzusetzen.
Ein solches Unternehmen verlangt gründliche Vorkehrungen. Es sei denn, der verantwortliche Hauptmann oder Fürst sei ein europäischer Kriegsherr. Dieser - so war es in allen Kämpfen, an denen ich teilgenommen habe - wirbt Söldner und überläßt ihnen dann die Erkundung, die Verpflegung, überhaupt Vorbereitung und Durchführung. Der Padischah dagegen war sorgfältig. Oder jedenfalls die von ihm beauftragten Männer.
So daß ich mich heute mit keineswegs geringer Verwunderung frage, ob nicht vielleicht gründliche Vorbereitung die beste Gewähr für eine Katastrophe ist. Denn alle siegreichen Züge der vergangenen Jahrzehnte, gleich ob es sich um die Handstreiche von Cortés und anderen jenseits des Meeres handelt oder um Unternehmungen in Europa, entbehrten gewöhnlich jeden Sinns und wurden von Männern bestritten, die ohne ihre aus Mangel an allem entstandene Verzweiflung wohl kaum zu solchen Taten fähig gewesen wären.
Die Türken setzten den Zeitpunkt des eigentlichen Kriegsbeginns so fest, daß in ihren Gebieten zuvor die Ernten eingebracht werden konnten; damit war die Versorgung
des gewaltigen Heeres gesichert. Vorräte und die schweren Geschütze wurden nach Belgrad vorausgeschickt, um die Straßen für die Truppen freizuhalten.
Es war jedoch ein ungewöhnlich nasses Jahr auf dem Balkan; Regen behinderte den Zug über die Gebirgsketten und machte schließlich jenseits von
Weitere Kostenlose Bücher