Die Rache des Kaisers
Belgrad die Straßen so tief, daß die schweren Belagerungsgeschütze nicht nach Wien gebracht werden konnten. Erst Anfang September, als sich bereits ganz Ungarn in den Händen der Feinde befand, konnte König Ferdinand ernstlich Maßnahmen zur Verteidigung Österreichs beginnen.
Am 21. September erreichten Karl, Avram und ich Wien. Wir hatten zunächst versucht, den Spaniern zu folgen und an die Krainer Grenze zu gelangen. Flüchtlinge, vor- und zurückströmende Truppen, das scheußliche Wetter, die tiefen und dazu noch verstopften Wege, alles hinderte uns an schnellem Vorankommen. Plündernde Soldaten, streifende Vorausabteilungen der Akindschi und Provianteintreiber des Königs arbeiteten bestens zusammen, um uns eine halbwegs auskömmliche Nahrung zu verweigern. Es gab auch kaum Unterkünfte, abgesehen von regentriefenden Resten verbrannter Scheunen; und schließlich, als wir uns endlich der Grenze zwischen Kärnten und Krain näherten, hörten wir von Flüchtlingen, daß alle königlichen Truppen, auch die Spanier, zur Verteidigung Wiens befohlen worden seien.
Wiens Umland wurde bereits von Akindschi heimgesucht und verwüstet; der König weilte, hieß es, in Böhmen, auf der verzweifelten Suche nach Geld und Verstärkungen; die wenigen, nur aus Gerüchten bekannten Truppen aus dem Reich waren bisher nicht eingetroffen. Die Herren des Kriegsrats hatten soeben beschlossen, die äußeren Verteidigungsanlagen aufzugeben und die Vorstädte niederzubrennen, um dem
Feind keinen Unterschlupf zu geben. Der größte Teil der Wiener Bevölkerung war geflohen, die Anzahl der waffenfähigen Männer in der Stadt reichte kaum aus, die inneren Mauern zu besetzen. Es wimmelte von Flüchtlingen aus Ungarn, dem Hinterland und den beklagten Vorstädten, und es gab dem Vernehmen nach zwar genug Pulver, Blei, Geschütze und Kanonenkugeln, aber nur für wenige Tage zu essen.
»Jeder Mann wird gebraucht«, sagte der Unterführer der Stadtwache, der uns gleich weiterschickte zum Quartier eines der Offiziere, die die Verteidigung vorbereiteten. »Und die Pferde könnt ihr wahrscheinlich gleich beim Proviantmeister abgeben.«
Auf den Straßen begegneten wir immer wieder Bewaffneten, die Flüchtlinge in leere Häuser scheuchten. Auf allen Erhebungen innerhalb der Stadt wurden Häuser zerstört, um Geschütze zu postieren und ihnen freies Schußfeld zu verschaffen. Wien, letztes Bollwerk, Panzerung vor den weichen Flanken des Reichs, war ein Gemenge aus Dreck, Angst, Kot, Verzweiflung und ungläubiger Entschlossenheit.
Vor dem Tor des Gebäudes, zu dem wir geschickt worden waren, blieben wir einen Moment stehen.
Plötzlich begann Avram zu lachen.
»Was juckt dich denn?« sagte Karl; er schnitt eine Fratze und starrte den Gefährten an.
»Es ist immer gut, zur rechten Zeit am besten Ort zu sein. Ich weiß nicht wie, aber ich glaube, das haben wir bestens geschafft.«
ZWEIUNDZWANZIG
D ie Pferde brauchten wir nicht abzugeben; noch nicht. Wir wurden einer Truppe zugeteilt, die in der Nähe eines der Stadttore die Mauer verteidigen und, falls nötig und möglich, Ausfälle zu Pferd unternehmen sollte. Niemand fragte uns, ob wir Wien zu verteidigen wünschten. Alle Waffenfähigen mußten. Und was hätten wir sonst tun sollen? Geld war weitestgehend nutzlos, man konnte eigentlich nichts kaufen. Irgend jemand versuchte, in unregelmäßigen Abständen an die Flüchtlinge Nahrungsmittel zu verteilen, aber alles war knapp. Die bewaffneten Verteidiger der Stadt, gleich ob Wächter, Bürger, Söldner oder Zwangsverpflichtete, wurden immerhin besser versorgt.
König Ferdinand hatte, wie von einigen höheren Rängen behauptet wurde, eigentlich für das nächste Jahr einen großen Feldzug gegen die Osmanen ansetzen wollen, um ihnen die verlorenen Teile Ungarns wieder zu nehmen und ganz allgemein die Grenzen im Osten und Südosten für die kommenden Jahrzehnte zu sichern.
Die dafür nötigen Truppen wurden mit vierzigtausend Mann Fußvolk und zehntausend Reiter mit hundert Geschützen angegeben. Man hatte bereits Büchsenmeister in Dienst gestellt, die Fertigung von Stichwaffen in Auftrag gegeben und Geschütze angefordert - alles fürs nächste Jahr, nichts für dieses. Schiffbauer sollten eine Donauflotte zur
Begleitung des Heers vorbereiten, um es gegen Angriffe türkischer Kriegsschiffe zu decken und den Nachschub an Munition und Proviant zu sichern. Bauteile für die schnelle Errichtung von Brücken sollten verfügbar sein
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