Die Rache des Samurai
Charakter einzuheiraten.
Um sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, richtete Sano den Blick auf die Umgebung. Sie hatten die Kiyomizu-Halle vollständig umrundet und gelangten nun auf jene Seite, von der aus man einen Blick auf den See hatte. Die Frauen und Noguchi waren noch weit hinter Sano und Ueda.
Der Magistrat legte Sano eine Hand auf den Arm. »Ich wünsche Euch Erfolg bei Euren Nachforschungen und alles Gute für die Zukunft.«
Ueda sprach diese Worte mit ernster, würdevoller Aufrichtigkeit, doch Sano hörte sie kaum. Denn genau in diesem Moment fiel sein Blick auf eine vertraute Gestalt, die auf der Galerie der Halle stand.
In Umhänge in leuchtenden Farben gekleidet, betrachtete Kammerherr Yanagisawa die blühenden Kirschbäume, die sich unter ihm ausbreiteten. Während Sano ihn beobachtete, drehte er sich um und sprach zu einer Gruppe ähnlich gekleideter Männer, die neben ihm standen. Sano erkannte einige hochrangige Beamte unter ihnen: Offenbar handelte es sich um eine Verbindung aus geschäftlichem Treffen und Vergnügungsausflug. Als Sano Yanagisawas prächtig gewandete Gestalt betrachtete, strafften sich seine Muskeln, und der Mund wurde ihm trocken.
Früher oder später mußte er mit dem Kammerherrn reden – wenn schon nicht mit dem Ziel, Yanagisawa als bundori -Mörder zu entlarven, so doch, um ihre Streitigkeiten beizulegen. Sano versuchte, seine Abneigung diesem Mann gegenüber nüchtern zu betrachten, indem er sich die Gründe vor Augen führte, die dafür sprachen, daß Yanagisawa nicht der bundori -Mörder war. Trotz seiner Abstammung, seiner charakterlichen Fehler und seiner Versuche, Sanos Nachforschungen zu erschweren, war Yanagisawa nach dem Shōgun der zweitmächtigste Mann im Lande, ein angesehener bakufu -Beamter, und gewiß viel zu sehr mit Regierungsangelegenheiten beschäftigt, um eine längst erloschene Fehde wieder zu entflammen. Doch die Sorgfalt – wie auch Sanos Verlangen, stets die Wahrheit zu ergründen – gebot es ihm, Yanagisawa so lange wie einen Verdächtigen zu behandeln, bis seine Unschuld erwiesen war, mochte Sano sich noch so sehr wünschen, es wäre anders. Und falls der Kammerherr nicht der Mörder war, mußte Sano sich mit ihm aussöhnen. Denn selbst wenn es ihm gelang, den Mordfall zu lösen und der Verbannung zu entgehen, hing sein zukünftiger Erfolg von Yanagisawa ab.
»Ich werde hier auf die Frauen und Noguchi warten«, sagte Magistrat Ueda. »Ich hätte Verständnis dafür, wenn Ihr jetzt eine Weile allein sein wollt.«
Sano begriff, daß der Magistrat ihm die Gelegenheit geben wollte, sich von der Enttäuschung zu erholen und zu sich selbst zu finden, bevor er sich wieder zu den anderen gesellte. Als Sano sah, daß Yanagisawa die Galerie verließ und im Inneren der Halle verschwand, erkannte er, daß jetzt vielleicht seine einzige Chance gekommen war, mit dem Kammerherrn zu sprechen; denn eine förmliche Privataudienz würde Yanagisawa ihm womöglich verwehren.
»Ich danke Euch, ehrenwerter Magistrat«, sagte Sano der entschlossen war, die Begegnung hinter sich zu bringen, die ihn mit Furcht erfüllte. Er ging den Pfad hinunter und wartete.
Kurz darauf kam Yanagisawa aus der Halle und stieg die Treppe hinunter. Gemächlich machte er sich auf den Weg den Hügel hinab; dann schlenderte er über die Promenade. Sano folgte ihm bis zu einer schmalen Landzunge, die in den Shinobazu-See hineinragte und bis auf eine kleine Insel führte; zu beiden Seiten der Landzunge befanden sich Teehäuser, zwischen denen Yanagisawa nun hindurchging, bis er auf die Insel gelangte, auf der sich das Heiligtum der Benten befand, der Göttin des Wassers. Mit pochendem Herzen und zögernden Schritten folgte Sano dem Kammerherrn.
Yanagisawa gelangte auf die Insel und ging durch das Torii-Tor des Tempels. Im Inneren schützte ein kleiner Kiefernhain den eigentlichen Tempelbezirk, der zur Zeit menschenleer war. Auch Sano ging durch das Tor und holte tief Luft.
»Ehrenwerter Kammerherr Yanagisawa«, stieß er hervor. »Darf ich mit Euch sprechen?«
Yanagisawa drehte sich um. Der Anflug eines Lächelns, der auf seinem Gesicht gelegen hatte, schwand abrupt. In seinen Augen loderte es auf; ein heißer Hauch der Feindseligkeit schlug Sano entgegen.
»Ich habe Euch nichts zu sagen, sōsakan .« Seine scharfe Stimme war voller Boshaftigkeit. »Wie könnt Ihr es wagen, auf so unverschämte Weise in meine Privatsphäre einzudringen? Verschwindet auf der Stelle!«
Sanos
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