Die Rache des Samurai
durch. Dann strich er seine Gewänder glatt, während sein Gesicht wieder den gewohnten glatten, überheblichen Ausdruck annahm. Doch seine Augen waren dunkle, bodenlose Teiche aus Haß und Zorn. Als er weitersprach, lag in seiner Stimme ein leiser, tödlicher Beiklang.
»Ich will Euch nur soviel sagen, sōsakan : Ich werde nicht zulassen, daß Ihr Euren Auftrag erfolgreich abschließen könnt. Und bevor ich mit Euch fertig bin, werdet Ihr um die Gunst betteln, auf die Insel Sado in die Verbannung geschickt zu werden.«
Er wandte sich um und ging mit raschen Schritten durch das Torii-Tor. Verzweifelt blickte Sano der davoneilenden Gestalt nach. Die Begegnung mit Yanagisawa hatte keinen Beweis für die Schuld des Kammerherrn erbracht, doch ebensowenig hatte sie ihn entlastet und damit Sanos Furcht zerstreut. Es war alles nur noch schlimmer geworden; denn Sano hatte Yanagisawa gezwungen, seine Feindseligkeit offen zu zeigen.
Sano straffte die Schultern, zwang sich zur Ruhe und machte sich auf den Weg zum Seeufer, wo Noguchi, Magistrat Ueda und die Frauen auf ihn warteten. Doch als er auf die Promenade gelangte, blieb er wie angewurzelt stehen. Alle Gedanken an den fehlgeschlagenen miai verflogen augenblicklich.
Er sah, wie Kammerherr Yanagisawa und seine Begleiter in eine Reihe von Sänften stiegen, neben denen Träger warteten, um ihre Herren zurück nach Edo zu bringen. Yanagisawa verbeugte sich vor seinen Begleitern; dann stieg er in die vorderste Sänfte.
Diejenige, bei der fauchende Drachen in leuchtendem Rot, Grün und Gold auf die Türen aus schwarzer Lackarbeit gemalt waren.
Sano stieß scharf den Atem aus, als die Träger die Sänften anhoben und mit ihrer Last an ihm vorübertrotteten. Er hörte ihre Schritte wie aus weiter Ferne, und ihm wurde dunkel vor Augen. In seinem Geist brannte nur noch das Bild der Drachensänfte.
Von einem Moment zum anderen war Kammerherr Yanagisawa zu Sanos Hauptverdächtigem geworden. Und Sano gestand sich endlich seine größte Angst ein: die schreckliche Heldentat zu vollbringen, durch die er seiner Familie einen Platz in der Geschichte sicherte. Nun konnte er die Stimme seines Vaters nicht mehr zurückhalten, die aus der Vergangenheit zu ihm sprach:
»Manchmal kehrt ein böser Geist in Gestalt eines verderbten Ratgebers in das Haus eines großen Fürsten ein. Ein solcher Ratgeber führt den Fürsten durch lügenhafte Einflüsterungen vom rechten Weg ab; er nistet seine Spießgesellen im Hause des Fürsten ein und beseitigt jeden Widerstand, der ihm entgegengebracht wird. Ein solcher Ratgeber führt dem Fürsten Frauen zu und Unterhaltungskünstler; er verleitet ihn dazu, sich Vergnügungen hinzugeben, statt sich um die Amtsgeschäfte zu kümmern. Er verschwendet das Geld des Fürsten für seine eigenen, bösen Zwecke. Er sorgt für den körperlichen, geistigen und sittlichen Verfall, zuerst beim Fürsten, und schließlich in allen Bereichen der Regierung.«
»Nein«, flüsterte Sano.
Er hatte erlebt, wie sehr Yanagisawa den Shōgun beherrschte, wie er dessen Macht an sich zog, wie er dessen Laster förderte und ihm sein Vermögen raubte. Falls Yanagisawa überdies die vier Männer ermordet hatte, war er in den Tat der »böse Geist«. Sano versuchte, nicht an die schrecklichste Regel des bushidō zu denken, doch die erbarmungslose Stimme seines Vaters fuhr fort, während Sano beobachtete, wie Yanagisawas Sänfte hinter einer Kurve verschwand.
»Der böse Geist muß vernichtet werden – aber nicht, indem man ihm öffentlich gegenübertritt; denn dies könnte einen Skandal oder einen Krieg zur Folge haben. Die größte und edelste Tat, die ein Samurai vollbringen kann, besteht darin, sein Leben zum Wohle seines Herrn zu opfern. Um den Fürsten und sein Herrscherhaus von dem verderblichen Einfluß zu befreien, muß der Samurai den bösen Geist töten und anschließend rituellen Selbstmord begehen, um der Gefangennahme und der Schmach zu entrinnen und die Ehre seiner Familie für alle Ewigkeit zu sichern.«
23
A
uf dem Rücken seines Pferdes folgte Sano unbemerkt. dem Hauptmann Chūgo Gichin in das Wohnviertel der Daimyō. An diesem Morgen hatte er Hirata mit der riskanten Aufgabe betraut, in der Nacht Matsui Minoru zu folgen. Sano selbst hatte die noch gefährlichere Überwachung Chūgos übernommen, der seiner phantastischen Schwertkunst wegen eine noch größere Bedrohung darstellte als Matsui und seine beiden Leibwächter zusammen. Überdies konnte Chūgo die
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