Die Rache des Samurai
übers Gesicht gerutscht war, leistete aber weiterhin Gegenwehr. Sano spürte, wie sein Widersacher versuchte, ihm das Knie in den Unterleib zu rammen, und beinahe gelang es dem Meuchler, Sano aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sano packte den Kopf des Mannes und hämmerte ihn auf den Boden.
»Wer hat dich geschickt? Rede!«
Er würgte den Gegner, bis dessen Gegenwehr erlahmte. Dann lockerte er den Druck der Finger. Diesmal wurde der Körper des Meuchlers schlaff; er breitete die Hände in einer Geste aus, die besagte, daß er sich geschlagen gab.
»Ihr … habt gesiegt«, keuchte der Mann. »Bitte … laßt mich leben …«
Vorsichtig nahm Sano die Hände von der Kehle des Fremden und hockte sich auf die Knie. »Wer …?«
Er sah den Schlag nicht kommen, der an seinem Kinn explodierte und ihn nach hinten gegen die Wand des Ladens schleuderte. In Sanos Ohren rauschte es; vor seinen Augen tanzten grellrote Funken. Als er sich aufrappelte, sah er, wie sein Gegner, der seinen Hut verloren hatte, sich mit erhobenem Schwert nach vorn warf. In diesem Augenblick wußte Sano, daß er nie erfahren würde, wer sein Angreifer und dessen Auftraggeber war: Er mußte töten, oder er würde selbst getötet. Sano zog sein Schwert.
Einen Sekundenbruchteil, bevor der Meuchler den ersten Hieb führte, fiel das Mondlicht auf sein Gesicht. Fassungslosigkeit ließ Sano, der bereits zum Gegenschlag ausholte, in der Bewegung innehalten.
»Hirata?«
Der junge dōshin erstarrte beim Klang von Sanos Stimme. Vor Entsetzen riß er Mund und Augen auf. Dann ließ er sein Schwert fallen.
» Sōsakan-sama? «
»Pssst!« Sano legte einen Finger auf die Lippen. Vor Erstaunen hatten beide Männer laut gesprochen. »Was hast du hier zu suchen, Hirata?« fragte er flüsternd.
Hirata ließ sich auf die Knie fallen und verbeugte sich. » Sōsakan-sama , gomen nasai . Ich bitte tausendmal um Vergebung, daß ich Euch angegriffen habe! Aber ich habe nur Eure Befehle befolgt.« Er wies auf den Laden und sagte in heiserem, drängendem Flüsterton. »Matsui Minoru ist dort drinnen!«
Verdutzt blickte Sano erst Hirata an; dann schaute er auf den Laden, in dem Chūgo verschwunden war. Der Hauptmann war mit Minoru dort drinnen? Was hatten die beiden Verdächtigen miteinander zu schaffen?
24
C
hūgo Gichin kniete auf dem Fußboden des Ladens des Geldverleihers und beobachtete, wie Matsui Minoru Reiswein einschenkte. Das von Lampenlicht erhellte Schalterzimmer war bis auf Chūgo und seinen Gastgeber leer. Matsuis Angestellte waren längst nach Hause gegangen; ihre Goldwaagen standen müßig in den Regalen neben den Rechenbrettern. Von den Schreibpulten waren die Ablagen, die Münzrollen und das Schreibzeug fortgeräumt. Die beiden Nachtwächter Matsuis hatten sich ins Hinterzimmer begeben, um dort ihre Wache über das Geld und die Unterlagen fortzuführen. Von den vielen Kunden Matsuis war nichts als der Geruch nach Tabakrauch geblieben.
Für Chūgo verkörperte dieser Geruch den Schmutz, der in seinen Augen dem Geld anhaftete. Er fühlte sich besudelt, als würde es seine Kriegerseele beflecken, sich in diesem Laden aufzuhalten. Seine Abscheu vor Matsui saß so tief, daß sein Magen sich verkrampfte: Matsui war Kaufmann, ein ehemaliger Samurai, ein Sinnbild der Gier und der Schande. Und unglücklicherweise sein Blutsverwandter.
»Ist es nicht seltsam, wie das Schicksal uns einst getrennt hat, nur um uns nun wieder zusammenzuführen, mein lieber Verwandter?« Mit einem freundlichen Lächeln reichte Matsui Chūgo eine Schale Reiswein.
Matsuis Bemerkung und sein vertrauliches Gehabe verärgerten Chūgo. »Unsere Verwandtschaft hat geendet, als Ihr vom Weg des Kriegers abgewichen seid«, erwiderte er. Um seine verwandtschaftliche Bindung mit Matsui vor den Augen anderer zu verbergen, hatte Chūgo die Erschwernisse des nächtlichen Rittes auf sich genommen und Falschnamen benützt; er wollte dafür sorgen, daß niemand ihn hierherkommen sah. Nun nahm er die Schale entgegen, tat aber nur so, als würde er vom Reiswein trinken. »Ich betrachte Euch nicht als Familienangehörigen. Auch wenn wir von Geburt Vettern sind.«
Matsuis fröhliches Lachen besaß einen gefährlichen Unterton. »Oh, das war deutlich … Vetter.« Er kippte den Reiswein mit einem Schluck hinunter und betrachtete Chūgo mit einem durchdringenden, herausfordernden Blick. »Vielleicht werden wir bald erleben, wer von uns der Familie größere Ehre macht. Oder größere
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