Die Rache des Samurai
drei anderen jungen Samurai den Schwertkampf geübt, als ein Palastbote mit der Nachricht zu den Unterkünften von Chūgos Familie hinaufgerannt kam. Als sein Vater die Tür öffnete und die Schriftrolle entgegennahm, hatte Chūgo noch wilder gekämpft als zuvor und mit seinem Holzschwert gnadenlos auf die anderen Jungen eingehauen. Er hörte kaum ihre Schreie, spürte kaum ihre Gegenschläge. Er war nur noch von dem Wunsch beseelt, sich hervorzutun, zu siegen, seinem Vater sein Können zu zeigen.
Als Chūgos Gegner erkannten, daß aus dem Spiel tödlicher Ernst geworden war, ergriffen sie schreiend die Flucht. Chūgo kam sich wie der große General Fujiwara vor, dessen Blut durch seine Adern strömte. Beifallheischend blickte er zum Vater hinüber.
Chūgos Vater stand auf der Veranda. Da er gerade erst seinen Dienst beendet hatte, trug er noch immer die volle Rüstung. Das entrollte Schriftstück hing schlaff in seiner Hand, und sein betroffener Blick ging durch seinen Sohn hindurch.
»Dein Vetter Minoru hat seine Stellung als Wächter des Anwesens Seiner Hoheit im Norden von Kantō aufgegeben«, sagte Chūgos Vater. »Er hat in Ise eine Sake-Brennerei eröffnet.«
In seiner Stimme lag Verachtung, doch aus seinem seltsamen Lächeln sprachen Freude und Zorn zugleich, und in seinen Augen spiegelte sich Genugtuung. »Doch Minoru ist offenbar ein Rest von Anstand geblieben. Er hat den Namen Fujiwara abgelegt – den Göttern sei Dank! Er nennt sich jetzt Matsui.«
Chūgos Vater hatte den Sohn von klein auf in der Familiengeschichte unterrichtet. Deshalb wußte der Junge, daß die verachtenswerte Tat seines Vetters Schande über den gesamten Klan brachte. Doch auf der anderen Seite stiegen Rang und Ansehen jenes Familienzweiges, dem Chūgo angehörte. Der Junge grinste, als hätte er soeben einen weiteren Sieg errungen.
Dann richtete der Vater den Blick auf Chūgo, und dieser sah sich selbst mit des Vaters Augen: ein lang aufgeschossener, barfüßiger Junge mit einem lächerlichen Holzschwert. Mit einemmal schämte er sich, wurde sich seiner Unzulänglichkeit bewußt. Durch den Nebel seines Kummers hörte er wieder die Stimme des Vaters.
»Jetzt ist es an uns, die Ehre der Familie zu wahren. Du wirst mehr tun müssen als in Kinderspielen zu siegen, willst du jemals den Ansprüchen gerecht werden, die General Fujiwara an dich stellen würde.«
Im Laufe seiner Jugendjahre hörte Chūgo immer öfter ähnliche Ermahnungen; denn der Zorn seiner Familie auf Matsui wurde um so größer, je mehr Reichtum und Einfluß sich der Kaufmann erwarb. Während der Chūgo-Klan sparen mußte, um mit seinen Einkünften den steigenden Lebenskosten begegnen zu können, lebte Matsui in Saus und Braus. Die Chūgos – als Hauptleute der Wache – bekamen den Shōgun nur bei großen Zeremonien und geschäftlichen Treffen zu Gesicht, während Matsui zu Privataudienzen geladen wurde. Seine Stellung als Finanzverwalter der Tokugawa brachte ihn näher an die Schaltstellen der Macht heran, als es Chūgo jemals gelingen würde. Mit heißer Wut und einem Gefühl der Demütigung erkannte er, daß sein ungeratener Vetter ihn übertrumpft hatte.
Und auch jetzt schäumte Chūgo vor Zorn, als er an die Schulden dachte, die er und sein Herr bei Matsui hatten. Üblicherweise stillte Chūgo sein Verlangen nach Kampf und Schlachtgetümmel – denn das Kriegführen war die eigentliche Aufgabe des Samurai –, indem er seinen Pflichten peinlich genau nachkam. Und es erfüllte ihn mit schierer Lust, wenn er die Kraft fühlte, die stets in jenem winzigen Augenblick seinen Körper durchströmte, bevor er eine iaijutsu- Übung vollführte. Chūgo stellte sich vor, wie seine Hand zum Schwertgriff zuckte. Er sah die Klinge aus der Scheide huschen und durch die Luft flirren; er malte sich wohlig aus, wie der scharfe Stahl Fleisch durchschnitt und Knochen durchtrennte. Er stellte sich vor, wie Matsui tot zu Boden sank, und er war der strahlende Sieger …
Eine Nadel der Furcht stach in Chūgos Traumbild und ließ es zerplatzen, als er den untersetzten, lächelnden und immer noch sehr lebendigen Matsui betrachtete. Verlangte der Kaufmann nun das Darlehen zurück? Chūgo konnte das Geld unmöglich aufbringen. Er hatte große Ausgaben gehabt und kein Bargeld zur Verfügung.
»Oh, Ihr seid mit Euren Raten nicht in Verzug, Chūgo- san . Da gibt es nichts zu besprechen … jedenfalls nicht, was das Darlehen angeht.«
Eine Woge der Furcht schwemmte Chūgos
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