Die Rache des Samurai
hatten auf dem Wachturm gestanden und das Zeitungsblatt gelesen, in dem darüber berichtet wurde, daß die Täter Einbrecher gewesen waren; erst als der junge Kaufmann die Halunken überraschte, hieß es, hatten sie ihn erstochen und waren zu Mördern geworden.
Chūgos Vater knüllte das Nachrichtenblatt zusammen. »Es war kein Einbruch. Meine Informanten haben mir mitgeteilt, daß Matsui den Mann ermordet hat, weil er sein größter geschäftlicher Rivale war.«
Daß einer seiner Blutsverwandten einen Menschen aus bloßer Gewinnsucht getötet hatte, beschämte Chūgo und ließ seine eigene edle Rettungstat beinahe zur Bedeutungslosigkeit verblassen.
»Ich werde für die Schande sühnen, die er über unsere Familie gebracht hat«, sagte er und zog sein neues Schwert. »Anders als mein Vetter werde ich mich als würdig erweisen, ein Nachkomme General Fujiwaras zu sein.«
Chūgo schüttelte die Gedanken an die Vergangenheit ab und schaute jenen Mann an, dessen Verderbtheit seinen Ehrgeiz fast ebenso angestachelt hatte wie der Gedanke an seinen Ahnherrn, den General.
»Ich mache mir nur Sorgen darüber, daß es sich als schädlich für meine Geschäfte erweisen könnte, ein Mordverdächtiger zu sein«, sagte Matsui soeben. »Ich könnte viele Kunden verlieren. Die Leute könnten ihr Geld von meinen Banken abheben. Es könnte meinen gesellschaftlichen Ruin bedeuten. Und in Euren Kreisen können selbst unbegründete Gerüchte einen Mann seine Stellung kosten.«
Wie gut Chūgo das wußte – und wie sehr er sich vor dieser schrecklichen Schande fürchtete!
Matsuis joviales Lächeln kehrte wieder; er hob die Schale mit dem Reiswein. »Also, laßt uns einen Trinkspruch auf unser Schweigen ausbringen, Vetter, zu unser beider Wohl. Schließlich haben wir ja vieles gemeinsam, nicht wahr?«
In lockerem Plauderton, als wollte er das Thema wechseln, fuhr Matsui fort: »Blutsbande kann man nicht zerreißen. Und sogar Feinde sind miteinander verbunden, wenn sie einer Familie angehören – besonders, wenn sie denselben Helden verehren. Wenn das der Fall ist, dann ist Verrat kein Thema, nicht wahr?«
Dieser vulgäre Schurke hat offenbar nicht alle guten Manieren verloren, als er seinen Status als Samurai aufgegeben hat, ging es Chūgo durch den Kopf. Denn mit wohlgesetzten Worten hatte Matsui soeben darauf angespielt, daß sie beide aufgrund ihrer Blutsverwandtschaft und ihrer Treue und Ergebenheit General Fujiwara gegenüber darauf verzichten sollten, die Unschuld des anderen in Frage zu stellen. Keiner würde den anderen verraten, falls er tatsächlich ein Verbrechen begangen hatte, selbst wenn es sich um Mord handelte.
»Stimmt«, pflichtete Chūgo ihm widerwillig bei. Er brauchte Matsuis Verschwiegenheit ebenso, wie der Kaufmann die seine brauchte. Und Matsui zu töten konnte Chūgo im Augenblick nicht riskieren: Wenn er einen der Nachkommen General Fujiwaras umbrachte, würde er damit nur die Aufmerksamkeit sōsakan Sanos auf die anderen drei richten.
Dennoch unternahm Chūgo einen letzten Versuch, Matsuis Vorschlag zurückzuweisen. »Aber vergeßt Ihr nicht etwas? Es gibt noch zwei Personen, die das Geheimnis kennen. Was ist, wenn sie es ausplaudern?«
Matsui runzelte die Stirn, doch er war weniger besorgt, als Chūgo erwartet hatte. »Die Frau, O-tama, könnte sich als Problem erweisen. Aber die andere Person …«
Für einen Augenblick sah Chūgo das Schreckgespenst des Kammerherrn Yanagisawa im Zimmer schweben, und er wußte, daß es Matsui ebenso erging.
»Ich glaube nicht, daß wir uns seinetwegen Sorgen machen müssen«, sagte der Kaufmann. »Schließlich ist das Geheimnis für ihn noch gefährlicher als für uns. Nun hört aber mit dem sinnlosen Hinauszögern auf, Chūgo -san . Habe ich Euer Versprechen?« Er führte die Sakeschale an die lächelnden Lippen. »Wenn Ihr’s mir nicht gebt, könnte ich mich gezwungen sehen, Eure Darlehensschulden einzufordern.«
Chūgo starrte die gemeine, hinterhältige Kreatur düster an, mit der er durch Blutsbande und ein unglückseliges Schicksal verbunden war. Schließlich seufzte er, hob die Sakeschale an den Mund und schluckte mit Matsuis ausgezeichnetem Reiswein seinen Zorn, seinen Haß und seine Ängste hinunter.
25
V
on der Promenade vor dem Palast von Edo aus beobachtete Sano, wie Chūgo Gichin durchs Haupttor ritt. Das Gefühl der Niederlage lastete schwer auf Sanos Schultern, als er vorsichtshalber eine Zeitlang wartete, um Chūgo dann zu folgen.
Sano und
Weitere Kostenlose Bücher