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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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hinaus ragten – eher abzuweisen als zu begrüßen. Vor den Fenstern waren dunkle Gitter angebracht. Eine Holztreppe führte zum überdachten Vorbau der Eingangshalle hinauf. Als Sano die Villa betrat, mußte er an jenen Tag zurückdenken, als er auf das Palastgelände übergesiedelt war.
    Als er damals protestiert hatte, das Haus sei viel zu groß für eine Einzelperson, und die Stallungen für die Pferde seien überflüssig, erklärte der Beamte, der Sano im Palast begrüßt hatte: »Falls Ihr zurückweist, was Seine Hoheit Euch zuteil werden läßt, wird er Euch für undankbar halten.«
    Also hatte Sano sich gefügt und war in die Villa eingezogen. Nun verschluckte sie ihn in ihrer gewaltigen, ungenützten Leere. Sano ließ seine Sandalen an der Eingangstür stehen. Dann schritt er den Flur hinunter und in die Haupthalle, wobei er sich dem instinktiven Verlangen widersetzen mußte, auf den Zehenspitzen zu gehen.
    »Ist die Tempelwächterin schon eingetroffen, die Seine Hoheit geschickt hat?« fragte Sano seinen Leibdiener, der ihn begrüßte.
    »Nein, Herr.«
    Verärgert verzog Sano das Gesicht. Am liebsten hätte er umgehend seine Nachforschungen aufgenommen, indem er den Schauplatz des Mordes in Augenschein nahm; falls er dort nicht schnell genug erschien, konnten wichtige Beweisstücke verloren gehen. Wie konnte er es sich da leisten, darauf zu warten, daß eine ältere Dame vom Tempel herübergehumpelt kam? Sano spürte, wie sich in seinem Inneren Widerstand regte. Er teilte nicht die abergläubische Ansicht Tokugawa Tsunayoshis, daß eine Verbindung mit dem Reich der Geister, wie die Tempelwächterin sie angeblich herstellen konnte, die Identität des Mörders enthüllen konnte. Es war viel wahrscheinlicher, daß logische, von der Vernunft bestimmte Methoden die Antworten lieferten.
    Doch der Shōgun hatte ihm praktisch befohlen, die Hilfe der Mystikerin in Anspruch zu nehmen. Zum erstenmal hatte Sano den Verdacht, daß es in seinem neuen Amt – trotz des Ansehens und der Macht, die es mit sich brachte – Einschränkungen gab, die es ihm nicht leichter machten, einen Mordfall zu lösen, sondern schwerer.
    Der Diener wartete auf Anweisungen. Sano spürte erst jetzt, daß er hungrig war: »Ich möchte etwas zu essen«, sagte er. Angesichts der vielen Arbeit, die vor ihm lag, wußte er nicht, wann er wieder Gelegenheit bekommen würde, etwas zu sich zu nehmen. Er konnte die Mahlzeit einnehmen, während er auf die Frau wartete.
    »Ja, Herr.« Der Diener verbeugte sich und verließ das Zimmer.
    Sano kniete sich auf das Podium und ließ mit der üblichen Ehrfurcht und dem gewohnten Unbehagen den Blick über sein neues Domizil schweifen. Kostbare Tatami-Matten bedeckten den Fußboden. Ein Landschaftsgemälde in leuchtenden Farben zierte die Wand hinter ihm. Die Schiebetüren zu beiden Seiten des Zimmers standen offen. Durch die Tür zur Linken konnte Sano über die Veranda hinweg auf einen Garten mit blühenden Kirschbäumen, moosbewachsenen Felsen und einem Teich blicken. Das Sonnenlicht schimmerte auf den Regalen aus Teakholz, den Schränken und dem Schreibpult in der Arbeitsnische und beleuchtete die Schnörkelverzierungen des Alkovens, in dem eine Vase mit Lilien stand.
    Durch die Tür zur rechten Seite konnte Sano über den Flur schauen, der zu seinem Schlafgemach führte; ein Hausmädchen war damit beschäftigt, die Vitrinen und Truhen aus Lackarbeit abzustauben, die an den Wänden des Flures standen. Leise Geräusche verrieten Sano, daß die anderen Diener in der Küche, dem Baderaum, den Toiletten, den sechs anderen Schlafgemächern und den langen Fluren an der Arbeit waren.
    Dennoch kam Sano das Haus leer und unbewohnt vor. Da seine Bücher und die Kleidung in Schränken verstaut waren, gab es keinerlei persönliche Gegenstände zu sehen – bis auf den buddhistischen Altar in einer Ecke seines Zimmers, wo vor dem Porträt seines Vaters Räucherpfannen, eine Schale Reiswein und eine Schüssel mit Früchten standen. Sano, der daran gewöhnt war, sämtlichen Wohnraum zu nützen, der ihm zur Verfügung stand, hätte die riesige Fläche des Hauses niemals nützen können. Ebensowenig, wie er sich in der Pracht und Vornehmheit der Villa zu entspannen vermochte.
    Den größten Teil seines Lebens hatte Sano in einer dicht besiedelten Wohngegend im Stadtviertel Nihonbashi verbracht, in dem kleinen Haus hinter dem Gebäude der Akademie für Waffenkünste, die sein Vater besessen und geleitet hatte. In diesem Haus

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