Die Rache des Samurai
Geister Verbindung aufzunehmen. Ich habe Befehl erteilt, sie direkt zu Eurem Quartier zu führen. Geht jetzt, sōsakan Sano, und nehmt umgehend Eure Nachforschungen auf. Berichtet mir heute abend in meinen Gemächern, welche … äh … Fortschritte Ihr gemacht habt.« Durch einen Wink mit dem Fächer gab er Sano zu verstehen, daß er entlassen war.
Sano verbeugte sich tief. »Ich danke Euch, Hoheit, für die große Ehre, Euch dienen zu dürfen«, sagte er und verbarg sein Erstaunen und seine Skepsis beim Gedanken an die oberste Tempelwächterin, die der Shōgun erwähnt hatte. Er hatte noch nie davon gehört, daß eine Mystikerin bei der Aufklärung eines Verbrechens geholfen hatte – so etwas gehörte nicht zur üblichen polizeilichen Vorgehensweise –, doch er konnte die Entscheidung des Shōgun nicht in Frage stellen. »Ich werde tun, was in meinen bescheidenen Kräften steht, und …«
Sano wäre fortgefahren und hätte seiner Dankbarkeit Ausdruck verliehen, daß ihm zusätzliche Hilfe gewährt wurde, doch der Blick des Shōgun schweifte bereits wieder zur Bühne hinüber. Offensichtlich war er begierig darauf, daß die Vorsprechproben fortgesetzt wurden.
»Ich danke Euch, Hoheit«, sagte Sano knapp und machte kehrt, um das Theater zu verlassen.
Er bemühte sich, sich leise und unauffällig zurückzuziehen und vor Überschwang kein unziemliches freudiges Lächeln zu zeigen. Noch heute morgen war ihm seine Chance, sich auszuzeichnen, sehr gering erschienen. Nun aber hatte er plötzlich die Gelegenheit, sich als wahrer Samurai und würdiger Anhänger des bushidō zu erweisen und eine Tat zu vollbringen, die dem Namen seiner Familie einen ruhmreichen Platz in der Geschichte sicherte. Überdies bestand die Aussicht, Abenteuer und Gefahren zu erleben und – was noch wichtiger war – die Wahrheit zu enthüllen, einen Verbrecher zu fassen, ihn dem Gesetz zu übergeben und möglicherweise Menschenleben zu retten. Außerdem schien Sano angesichts der schier unerschöpflichen Hilfsquellen ein Erfolg so gut wie sicher. Neue Selbstsicherheit durchströmte ihn in einer wohltuend wärmenden Woge. Der Auftrag des Shōgun bot die Möglichkeit, sich mit geringem Risiko großen Ruhm zu erwerben.
Als Sano den Palast verließ und hinaus in den hellen Frühlingsmorgen trat, waren Noguchis Warnung und Kammerherr Yanagisawas anfängliche Feindseligkeit nur noch flüchtige Schatten in einem fernen Winkel seines Bewußtseins.
2
D
er Weg zu Sanos Villa führte den Palasthügel hinunter, durch ein weiteres Labyrinth aus Gängen und bewachten Kontrollpunkten und schließlich über eine Brücke, die den inneren Wassergraben des Palasts überspannte. Von hier aus gelangte Sano durch ein weiteres Tor in den Wohnbereich der Beamten, der aus Villen bestand, in denen sich zugleich die Schreibstuben und Unterkünfte der bedeutendsten Gefolgsleute und höchsten Regierungsbeamten des Shōgun befanden.
Als Sano das Wohnviertel betrat, überkam ihn das altbekannte Gefühl des Unglaubens, daß dies nun sein Zuhause war. Prachtvolle Anwesen säumten die Straßen; jedes war von zweistöckigen Kasernen umgeben, in deren weiß verputzten Mauern, die mit schwarzen Kacheln in diagonalen Mustern verziert waren, sich Reihen vergitterter Fenster befanden. Hier und da unterbrachen überdachte Tore mit Wachhäuschen zu beiden Seiten die Eintönigkeit dieser riesigen Flächen aus Schwarz und Weiß, an denen ein Strom verschiedenster Personen vorüberfloß: vornehm gekleidete Beamte mitsamt ihren Dienern; Damen in Sänften, die von kräftigen Trägern geschleppt wurden; Bedienstete, Boten und Lastenträger; Gruppen von Samurai zu Pferde oder zu Fuß. Sano tauschte Grüße – kurze, förmliche Verbeugungen – mit den Kollegen, von denen er die meisten nur flüchtig kannte; dann blieb er vor seiner Villa stehen.
Die beiden Wachposten verbeugten sich und öffneten das Tor. Sano ging hindurch und gelangte auf einen kiesbedeckten Hof. Die Wände der leeren Kaserne, die als Unterkunft für Gefolgsleute vorgesehen war, welche Sano noch nicht besaß, ragten um die Villa herum auf. Das Hauptgebäude war überdies von einem hohen Holzzaun umgeben. Mit dem altbekannten Widerwillen, den er jedesmal verspürte, wenn er nach Hause kam, ging Sano durch das innere Tor.
Auf einem hohen Fundament aus Stein errichtet, schien ihn das Haus – ein großes Fachwerkgebäude mit einem gewaltigen Dach aus braunen Ziegeln, dessen Vorsprünge weit über die breite Veranda
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