Die Rache des Samurai
nehmen, konnte er nun darauf hoffen, noch lange am Leben zu bleiben.
Chūgo löste die aufgerissenen, blutigen Hände von den Segelleinen, nachdem er sie vertäut hatte, und ließ das Boot von der Strömung tragen. Er ging in die Kajüte. Der Regen prasselte auf das Dach, daß es sich wie das Gewehrfeuer feindlicher Heere anhörte, während draußen die dumpfen Kanonenschläge des Donners rollten. Das Wasser strömte von Chūgos Kleidung und bildete eine Pfütze um den Körper seiner Geisel, die am Boden lag.
Der mächtige Kammerherr Yanagisawa lag auf der Seite, die Augen geschlossen, Arme und Beine gebeugt – wie ein nasses, fortgeworfenes Bündel von Kleidungsstücken in grellbunter Farbe. Noch immer lief ihm das Blut aus den Schnittwunden an den Lippen und dem Augenlid über das weiße Gesicht. Sein Haarknoten am Hinterkopf hatte sich gelöst; der Zopf ringelte sich wie eine tote schwarze Schlange auf den Decksplanken. Verächtlich blickte Chūgo auf den Kammerherrn hinunter. Was für eine Schande dieser Feigling doch für General Fujiwara war! Dieser Schwächling, der wegen zweier harmloser kleiner Schnittwunden in Ohnmacht gefallen war. Der seinem Herrn die Macht gestohlen hatte. Der eine schändliche Gier nach Reichtum und wollüstigen Vergnügungen an den Tag legte. Yanagisawa war der fleischgewordene Widerspruch zum bushidō . Chūgo schüttelte sich vor Ekel, daß dieser Mann sein Blutsverwandter war. Nie hätte er damit gerechnet, daß diese verderbte Kreatur ihm einmal von Nutzen sein könnte.
Yanagisawa stöhnte. Mühsam drehte er sich auf den Rücken und schlug die zitternden Lider auf. Nach einem Moment der Benommenheit loderte Furcht in seinen dunklen Augen, als er zu Chūgo emporstarrte.
»Wo … wo bin ich?« fragte er heiser. Er wollte sich erheben, verhedderte sich jedoch in seinen ineinander verschlungenen Gewändern.
Chūgo ergriff eine Seilrolle, die auf der Sitzbank lag. Binnen weniger Augenblicke hatte er Yanagisawa gefesselt, indem er ihm die Hände und Füße auf dem Rücken zusammenschnürte.
Yanagisawa wand sich. »Chūgo! Habt Ihr den Verstand verloren? Bindet mich auf der Stelle los!«
Eine Welle erschütterte das Boot, und Yanagisawa rollte zur Seite und schlug mit dem Kopf gegen die Sitzbank. »Oh, nein, der Fluß …« Das Entsetzen verzerrte seine Stimme. »Wohin bringt Ihr mich?«
Chūgo beachtete ihn nicht. Rasch durchsuchte er die Schränke; dann verließ er die Kajüte und schaute sich im Laderaum um. Ein grimmiges, zufriedenes Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er reichlich Proviant entdeckte. Genug, um die Küste entlangzusegeln – eine gefährliche Reise, doch er konnte es schaffen. Er war unbesiegbar. Wenn er Yanagisawa erst ins Meer geworfen hatte, würde er in irgendeiner fernen Provinz anlegen, wo er untertauchen konnte, als rōnin getarnt, bis die Menschenjagd auf ihn nachließ und der bakufu erkannte, daß Yanagisawa ohnehin kein großer Verlust war. Dann würde er, Chūgo, seinen Weg durch das Land wiederaufnehmen und seine Arbeit beenden.
Als Chūgo zur Kajüte zurückkehrte, schloß er die Augen, um sein Hochgefühl nicht durch äußere Eindrücke trüben zu lassen.
Vom Boden aus schleuderte Yanagisawa ihm einen nicht enden wollenden Strom von Drohungen entgegen: »Jeder Soldat dieses Landes wird nach Euch suchen, Chūgo. Und wenn man Euch erst gefunden hat, werdet Ihr gekreuzigt, und dann wird man Euch den Kopf abschlagen. Man wird Eure Überreste auf dem Hinrichtungsplatz liegen lassen, auf daß jeder ungebildete Bauerntrampel, der vorüberkommt, sie begaffen kann!«
Für Chūgo war die Stimme des Kammerherrn so bedeutungslos wie das Summen eines Insekts. Seine Umgebung verschwamm ihm vor den Augen, als seine Phantasie und sein Verlangen ihn weit fort in die Vergangenheit trugen …
… in das Lager Oda Nobunagas, wo der große Kriegsherr, von seinen Generälen umgeben, in seinem Zelt saß. An diesem Tag hatte er in der Schlacht von Nagashino gesiegt, sein größter Triumph. Endlich hatte Oda den Klan der Takeda bezwungen, seinen mächtigsten Feind, und hatte ihre Gebiete seinem Herrschaftsbereich einverleibt.
Chūgos Geist verschmolz mit dem Körper General Fujiwaras; nun trug er die Rüstung eines Generals. Ein Hochgefühl erfüllte sein Inneres, als er vor Oda niederkniete und die Worte sagte, die auch sein Ahnherr an jenem längst vergangenen Abend gesprochen hatte.
»Erhabener Fürst Oda, bitte nehmt dies als meinen Tribut an Euch und
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