Die Rache des Samurai
Hand des Hauptmanns war vollkommen ruhig, als er die Schwertklinge noch näher an Yanagisawas Gesicht führte. Sano spürte die wachsende Panik der Soldaten aus Yanagisawas Gefolge. Er versuchte, Ruhe und Befehlskraft in seine Stimme zu legen, als er sagte: »Chūgo- san , er ist Euer Verwandter … ein Nachkomme General Fujiwaras, so wie Ihr. Er ist nicht Euer Feind.« Sano konzentrierte sich so sehr auf Chūgo, daß er den peitschenden Wind, den strömenden Regen und das Donnergrollen kaum noch wahrnahm, oder die plötzliche Stille, die sich über die Versammelten gesenkt hatte. »Er trägt keine Schuld an der Ermordung Oda Nobunagas – und er hat auch nichts mit der Falle zu tun, in die Ihr getappt seid.«
Chūgo schwieg, und seine Miene blieb unverändert, doch Sano hatte die innerliche Antwort des Hauptmanns gespürt, als die Namen General Fujiwaras und Oda Nobunagas gefallen waren. Hoffentlich mischte sich jetzt niemand ein!
» Ich bin der Mann, der verhindern wollte, daß Ihr den Racheschwur Eures Ahnherrn erfüllt. Ich bin der Mann, auf den Ihr es abgesehen habt, Chūgo- san .« Sano klopfte sich an die Brust. »Wir können die Sache austragen. Nur Ihr und ich. Tötet mich, und Ihr seid ein freier Mann. Wenn Ihr mich besiegt, stirbt mit mir auch die Anklage gegen Euch, und die Beweise gegen Euch würden mit mir begraben.«
Chūgo und alle anderen schwiegen. Blendende Blitze zuckten vom Himmel; rollender Donner ließ die Erde erbeben. Der Regen fiel in gewaltigen Schleiern, die über das Land jagten, so daß die Umgebung sich verschwommen vor dem schwarzen Himmel abhob. Hohe Wellen rauschten über das Flußufer, und die Seile der festgezurrten Boote ächzten und knarrten. Schließlich senkte Chūgo beinahe unmerklich das Schwert. Sano wappnete sich, nahm Verteidigungsstellung ein und bereitete sich auf Chūgos Angriff vor. Geist meines Vaters , gib mir Kraft!
Plötzlich rief Yanagisawa: »Das alles ist Eure Schuld, Sano Ichirō! Wachen! Ergreift ihn!«
Sein Ruf, der von Chūgos hartem Klammergriff erstickt wurde, vereitelte Sanos Versuch, die Vernichtungswut des Hauptmanns vom Kammerherrn auf sich selbst zu lenken. Chūgos Schwert zuckte wieder empor, und erneut schwebte die Klinge dicht vor Yanagisawas Gesicht. Der Kammerherr schrie, und sein Gefolge verwandelte sich in einen ungeordneten, unberechenbaren Pöbel. Rufe wurden laut. »Was sollen wir tun?« – »Packen wir ihn!«
»Gebt acht, sōsakan-sama !« Hirata trat zwischen Sano und die vorrückende Meute.
Sano nahm kaum Notiz von der Bedrohung durch den Pöbel, denn Chūgo, dessen Absicht unmißverständlich war, zerrte den tobenden, fluchenden Yanagisawa den Gehweg hinunter. In Sano stieg hilflose Verzweiflung auf.
»Versucht mich aufzuhalten, und ich werde ihn töten!« spie Chūgo hervor.
»Dafür werdet Ihr sterben, Sano Ichirō!« kreischte Kammerherr Yanagisawa; sein Gesicht war eine Grimasse der Wut und des Entsetzens. »Ihr unverschämter Lakai! Ihr nichtsnutziger Bastard! Ihr …«
»Seid still!« brüllte Sano.
Der Kammerherr verstummte. Der Mund stand ihm offen, als Chūgo ihn weiter den Pfad hinunter in Richtung Boot zerrte. Sano wartete gar nicht erst, bis Yanagisawa sich von dem Schock erholt hatte, auf so impertinente Weise angefahren worden zu sein. »Chūgo«, rief er. »Ihr könnt nicht entkommen. Bald wird jeder wissen, daß Ihr der bundori- Mörder seid. Dann seid Ihr nirgends mehr sicher.«
Er stürmte an Chūgo vorüber und lief rückwärtsgehend vor dem Hauptmann und seinem Gefangenen her. Chūgo beachtete Sano gar nicht, während Yanagisawa ihn mit vernichtenden Blicken bedachte. Sano beobachtete, wie Hirata versuchte, das wutentbrannte Gefolge des Kammerherrn zurückzuhalten – eine zornig schreiende, Schwerter schwingende Horde.
»Wenn Ihr den Kammerherrn laufen laßt, wird man Euch gestatten, seppuku zu begehen, oder Ihr kommt vielleicht sogar mit dem Leben davon und werdet unter Hausarrest gestellt«, hörte Sano sich schwafeln; er sagte, was ihm gerade in den Sinn kam. »Tötet Ihr ihn, dann wird man Euch foltern und wie einen gewöhnlichen Verbrecher hinrichten. Gebt auf, Chūgo. Es ist vorbei. Hört Ihr? Es ist aus!«
Sie erreichten die Anlegestelle des Bootes der Shimizu. Matsui, den Sano vollkommen vergessen hatte, lag auf dem Bootssteg, während sein überlebender Leibwächter bei ihm kniete und versuchte, durch rhythmischen Druck mit den Händen auf den Brustkorb das Wasser aus Matsuis Lungen zu
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