Die Rache des Samurai
Hauptmann der Palastwache jetzt noch zu töten, würde das Problem nicht lösen. Ohne einen Mann am Steuer konnte das Boot kentern und sinken, bevor man Kammerherr Yanagisawa retten konnte. Sano rannte den Männern des Gefolges hinterher.
»Hört auf zu schießen! Holt Hilfe! Die Polizei, oder ein Schiff der Flotte …«
Niemand hörte ihm zu; weitere Pfeile flogen. Sano erkannte, daß er selbst Chūgo aufhalten und Yanagisawa retten mußte. Er drängte sich durch die Menge. Durch sturmgepeitschte Regenschleier rannte er zur hintersten Anlegestelle, an der das Boot soeben vorüberfuhr. Er hörte Hirata rufen: »Los, sōsakan-sama! Ich hole Hilfe!«
Sano flüsterte ein Gebet, daß die Götter ihm Mut und Kraft verleihen mochten. Dann holte er tief Atem und sprang kopfüber in den Fluß.
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D
as eisige Wasser schlug über Sano zusammen, und für einen Moment stockte ihm das Herz. Dann durchstieß er keuchend die Oberfläche und schwamm durch die unruhigen Wellen dem Boot hinterher. Seine Kleidung behinderte ihn bei jeder Bewegung, und die zwei Schwerter drohten ihn in die Tiefe zu ziehen. Noch immer regnete es in Strömen; jedesmal, wenn Sano den Kopf zum Luftholen über Wasser hob, atmete er fast soviel Wasser ein wie Luft. Seine Muskeln schmerzten, und bald war ihm die Kälte bis auf die Knochen gedrungen. Vom Auf und Ab des wogenden Wassers wurde ihm übel. Was für ein Unterschied zu dem Herumgeplantsche im Übungsteich auf dem Palastgelände, bei dem Sano sich ohnehin nie hervorgetan hatte, selbst wenn er in bester körperlicher Verfassung war! Das Wasser war nicht sein natürliches Element, und es wehrte sich heftig, wie verzweifelt Sano es auch zu besiegen versuchte. Er zwang seine Arme und Beine, unermüdlich die Kraul- und Tretbewegungen zu vollführen. Ein Krampf biß ihn in die Hüfte, und der Fluß rauschte lauter als das Donnergrollen in seinen Ohren, während um ihn herum Blitze niederzuckten.
Doch jedesmal, wenn Sano durch den Wasserschleier einen Blick nach vorn warf, stellte er fest, daß er dem Boot ein Stück näher gekommen war. Dann, endlich, prallten seine Hände an den Rumpf. Doch die glatten Bretter boten keine Möglichkeit, sich in die Höhe zu ziehen. Sano stöhnte, als das Boot sich wieder von ihm entfernte. Er war völlig erschöpft, konnte nicht mehr weiterschwimmen. Der bundori- Mörder würde entkommen, und Yanagisawa war dem Tode geweiht …
Sano wußte, daß damit auch sein Leben verwirkt war. Er hatte seine letzte Chance vertan, die Pflicht gegenüber seinem Herrn zu erfüllen und das Versprechen einzulösen, das er seinem Vater gegeben hatte. Die Regeln des bushidō verlangten seinen Tod, so daß mit seinem Leben auch seine Schande erlosch.
Plötzlich klatschte ihm irgend etwas Rauhes gegen die Wange. Es war eines der Seile, mit denen das Boot vertäut gewesen war und die Chūgo durchgeschnitten hatte, bevor er Segel setzte. Sano packte das Tau. Zu schwach, sich daran zum Boot zu hangeln, hielt er sich einfach fest.
An Bord des schaukelnden, krängenden Bootes versuchte Chūgo, das Segel unter Kontrolle zu bekommen, indem er an den Leinen zerrte, die der Wind bis zum Zerreißen spannte. Regen fegte über das Deck und peitschte Chūgo ins Gesicht. Kurz vor der Einmündung des Kanda in den Sumida geriet das Boot in gefährliche Schräglage, und Chūgo zog mit aller Kraft das Segel herum. Das Boot richtete sich auf, schwenkte nach rechts und segelte vom Kanda auf den Sumida, wo die Strömung es nach Südwesten in Richtung Meer trug.
Wilder Triumph erfüllte Chūgo, als er aufkreuzte und das Boot in einem Zickzackkurs gegen den Wind steuerte. Er war dem wütenden Pöbel entkommen – und dem närrischen sōsakan , der schon viel zu lange versucht hatte, seine Mission zu vereiteln. Als Chūgo nach Steuerbord blickte, sah er nur regengepeitschte Lagerhäuser und verlassene Anlegestellen, die sich am Westufer des Sumida hinzogen; auf der gegenüberliegenden Seite war das ferne, dunstige Sumpfland zu erkennen. Es war eine einsame Fahrt; denn die anderen Boote hatten Schutz vor dem Unwetter gesucht. Der Fluß war für Chūgo ein weit offener Weg in die Freiheit. Ja, er würde überleben und General Fujiwaras blutige Rechnung begleichen. Chūgo holte tief Luft und brüllte gegen den Sturm an:
»Ehrenwerter Ahnherr! Ich gelobe, jeden Nachkommen der Endō und Araki zu töten!«
Denn durch den schier unglaublichen Glücksfall, daß es ihm gelungen war, Yanagisawa als Geisel zu
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