Die Rache des Samurai
gekommen.« Yanagisawas stechende dunkle Augen funkelten und verliehen seinem Gesicht einen anziehenden Charme. Soviel Schönheit, ging es Aoi durch den Kopf, an einen so verderbten Mann verschwendet. »Vielleicht könnt Ihr Sano verführen und ihn dadurch von seinen Aufgaben ablenken. Dann wird der Shōgun ihm den Fall fortnehmen – oder ihn sogar wegen Mißachtung seiner Pflichten aus dem Amt entlassen. Daß seine Heiratsverhandlungen dann ebenfalls scheitern würden, wäre eine zusätzliche Dreingabe.«
Wieder lachte Yanagisawa. »Ich könnte mir denken, daß ich Euch nicht erklären muß, wie man einen Mann vernichtet, kunoichi .«
Aoi wahrte eine gelassene Miene, und ihr Atem ging ruhig. Doch ihr Blut brodelte bei dem Gedanken an das monomi no jitsu : das Auffinden des Schwachpunkts in der Verteidigung eines Feindes und den darauffolgenden sofortigen Angriff.
Als Aoi zwanzig gewesen war, hatte sie begonnen, die Männer des Shōgun direkt auszuspionieren, indem sie mit hohen bakufu -Beamten geschlafen hatte, um von ihnen zu erfahren, ob sie sich an Bestechungen beteiligt oder sich sonstwie als treulos erwiesen hatten. Dann hatte Aoi sich die geheimen Laster dieser Männer zunutze gemacht – so lange, bis sie sich selbst zerstört hatten. Aoi verachtete die Schwäche und Dummheit dieser Männer, doch an die Degradierungen, Verbannungen oder Selbstmorde, die ihre Enthüllungen zur Folge hatten, dachte sie niemals. Jedes Opfer löschte Aoi aus ihrer Erinnerung, und falls eines der intimen Verhältnisse eine unerwünschte Schwangerschaft zur Folge hatte, nahm sie giftige Kräuter, um das Ungeborene abzutöten. Bis vor sechs Jahren, als sie den einzigen Mann vernichtete, der ihr etwas bedeutet hatte.
Fusei Matsugae. Als Tokugawa Tsunayoshi Shōgun geworden war, hatte Fusei, ein einflußreiches Mitglied des Ältestenrats, den Diktator bei dessen Bemühungen bestärkt, eine Regierungsreform herbeizuführen, und er hatte sich gegen Yanagisawa gestellt, als dieser versuchte, die Macht an sich zu reißen. Fuseis Intelligenz, seine Lauterkeit und sein blendendes Aussehen hatten Aoi angezogen. In seiner Person hatte sie endlich einen Samurai gefunden, der ihrer Achtung und Bewunderung würdig war. Und zum erstenmal hatte Aoi beim Verkehr mit einem Mann sexuelle Lust verspürt. Im Unterschied zu den anderen Männern, die Aoi oft mit kalter und gefühlloser Mißachtung behandelt hatten, war Fusei freundlich zu ihr gewesen. Und auf irgendeine Weise hatte er ihre Sehnsucht nach dem Vater und ihr Heimweh gestillt.
Zu Anfang hatte Aoi geglaubt, daß ihr Glücklichsein nichts mit Fusei zu tun hatte, sondern lediglich auf Gewohnheit beruhte – daß die Grausamkeit ihres Tuns ihr nichts mehr ausmachte. Und als sie erkannte, daß Fusei sich in sie verliebte – und daß sie sich aufrichtig darüber freute –, führte sie diese Freude nicht auf Fuseis Zuneigung zurück, sondern betrachtete sie als Ergebnis eines weiteren beruflichen Erfolges. Die sexuelle Lust, die Fusei ihr schenkte, verursachte ihr Unbehagen, das sie jedoch verdrängte; Aois Verlangen, diese neue, unbekannte Welt zu erforschen, war stärker als ihre Skrupel. Da Aoi nie zuvor verliebt gewesen war, erkannte sie die Gefahr erst, als es schon zu spät war.
Deshalb wurde Aoi nun von Schuldgefühlen und Selbstverachtung nahezu erstickt, als Yanagisawas Andeutung, mit Sano zu schlafen, das Bild der letzten gemeinsamen Nacht mit Fusei wieder vor Aois geistigem Auge erstehen ließ: Selbst im trüben Licht der Lampe in Fuseis Schlafgemach waren die Zeichen seines körperlichen Verfalls unübersehbar gewesen. Der schlanke, straffe Körper war schwach und mager geworden; die einst so klaren Augen waren blutunterlaufen, und Lippen und Hände zitterten. Er stank nach dem Sake, der ihn vernichtet hatte. Aoi konnte stets jene Männer erkennen, die eine gefährliche Vorliebe für alkoholische Getränke hatten; denn sobald ihr Blut sich mit dem Alkohol vermischte, verströmten sie einen unverkennbaren Geruch. Sie, Aoi, hatte Fusei daraufhin immer wieder zum Trinken ermuntert. In dieser Nacht jedoch erkannte sie, daß sie jenen Mann vermißte, der Fusei einst gewesen war, und daß sie ihn liebte.
»Nein«, flüsterte sie, von der plötzlichen Einsicht erfüllt, um wie vieles trostloser ihr Leben sein würde, wenn sie ihr Zerstörungswerk an dem einzigen Menschen vollendet hatte, der ihr in Edo etwas bedeutete.
Fusei saß auf dem Boden und blickte zu Aoi empor. Seine Augen
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