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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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waren glasig vor Trunkenheit und aufkeimendem Schwachsinn. »Führe das Ritual durch, Aoi«, sagte er mit schwerer Zunge.
    Oft hatte Aoi den religiösen Glauben ihrer Opfer zu einem Werkzeug gemacht; überdies machte sie sich die traditionellen Sohnespflichten den Eltern gegenüber zunutze, indem sie die Geister der geliebten Verstorbenen anrief, um ihre Opfer zu beeinflussen. Das war kein Schwindel; die Toten redeten tatsächlich, indem sie sich Dingen, die ihnen einst gehört hatten, sowie des Verstandes lebender Menschen bedienten, die sie auf Erden gekannt hatten. Aoi brauchte sich lediglich zu konzentrieren, um die Stimmen der Toten zu hören, und dann ihre schauspielerische Begabung einzusetzen, um die Persönlichkeiten der Verstorbenen neu zu erschaffen und verletzliche Männer wie Fusei dadurch zu beeinflussen. Doch nun wehrte ihr Herz sich dagegen; denn wenn sie hier und jetzt die Toten anrief, würde sie die Zerstörung ihres Geliebten vollenden.
    »Heute abend nicht, Liebster«, murmelte sie und streichelte ihm übers Gesicht.
    Fusei beachtete ihre Versuche nicht, ihn ins Bett zu locken. Mit zitternden Händen zündete er die Weihrauchschalen an, die auf dem Altar standen. »Ich verliere alle meine Verbündeten«, beklagte er sich. Ihm war gar nicht bewußt, daß er sich seiner trunkenen Tobsuchtsanfälle wegen den Freunden entfremdet hatte – ebensowenig, wie er zu erkennen vermochte, daß Aoi ihm half, sich selbst zu zerstören. »Der gesamte Rat hat sich Yanagisawas Meute angeschlossen«, fuhr Fusei fort. »Ich weiß nicht, wie ich dieser Verrücktheit Einhalt gebieten kann. Aoi, ich brauche den Rat meiner Mutter.«
    Fusei legte eine Schärpe, die seiner verstorbenen Mutter gehört hatte, zwischen die Weihrauchschalen. Dann wartete er mit der gleichen gespannten Erregung, mit der er einst im Bett auf Aoi gewartet hatte.
    Geh , hätte Aoi ihn am liebsten angeschrien. Geh , bevor alles verloren ist! Und nimm mich mit! Bring mich fort von diesem schrecklichen Ort .
    Dann aber dachte sie an ihre Familie, deren Leben davon abhing, daß sie gehorchte. Mit einem Seufzer des Bedauerns legte sie die Hände auf die Schärpe.
    »Höre, mein Sohn.« Ihre Stimme bekam einen krächzenden Beiklang, wie bei einer alten Frau, und sie verzog das Gesicht auf eine Weise, daß es dem Antlitz ähnelte, das sie in Fuseis Erinnerung sehen konnte.
    »Ja, Mutter.« Aufmerksam beugte er sich zu ihr vor.
    »Du mußt dein Schwert zu deinem Feind bringen, mein Sohn.«
    »Nein! Das kann ich nicht!« Fuseis umwölkter Blick wurde klar; der Schreck über die Nachricht seiner Mutter hatte ihn nüchtern werden lassen. »Das wäre Verrat!« Dann schaute er Aoi an, als stammten die Worte, die sie sagte, tatsächlich von seiner Mutter aus dem Geisterreich, und seine Miene wurde entschlossen. »Aber wenn ich es tun muß, so soll es denn sein.«
    Mit aller Selbstbeherrschung, die sie aufbringen konnte, hielt Aoi die Tränen zurück. »Ja, mein Sohn«, flüsterte sie.
    Zwei Tage später war er tot, nachdem er einen gewalttätigen Skandal entfacht hatte. Yanagisawa erlangte das Amt des Kammerherrn, ohne daß ihm weiterer Widerstand entgegengebracht wurde. Nacht für Nacht lag Aoi wach und weinte leise; sie haßte sich selbst, und sie haßte die Pflichten, die sie gefesselt hielten. Dann versetzte das Schicksal ihr einen weiteren Schlag, als Kammerherr Yanagisawa sie zu dem ersten von vielen heimlichen Treffen zu sich bestellte.
    »Michiko ist tot«, sagte er. »Von nun an werdet Ihr den Palast-Geheimdienst befehligen und direkt an mich Bericht erstatten.«
    Diese Neuigkeit traf Aoi wie ein Donnerschlag. Jahrelang hatte der Traum von der Freiheit ihr die Kraft zum Weitermachen gegeben. Sie sehnte sich danach, ihren Vater wiederzusehen. Und sie hegte die wehmütige Hoffnung, in ihrem Heimatdorf Gutes tun zu können, keine schlechten und verderbten Dinge wie in Edo. Und vielleicht einen Mann zu finden, der die Leere ausfüllen konnte, die der Tod Fuseis in ihrem Inneren hinterlassen hatte.
    Nun aber war der Traum von der Freiheit gestorben. Wie Michiko würde Aoi den Rest ihres Lebens im Exil verbringen, dazu verdammt, für Männer, die sie haßte, eine Arbeit tun zu müssen, die sie verabscheute. Am liebsten hätte sie sich durch das vergitterte Fenster des Palastturms fünf Stockwerke in die Tiefe gestürzt.
    Doch immer noch schwebte die alte Drohung über ihrer Familie, und so hatte sie geflüstert: »Ja, ehrenwerter Kammerherr …«
    Nun riß

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