Die Rache des Samurai
noch wenige Laternen. Er schloß sich den Reisenden an, die auf der Straße nach Asakusa unterwegs waren.
Vor einhundertneunzehn Jahren war Fürst Odas Heer mit den feindlichen Armeen Fürst Asakuras und den Truppen des Verräters Asai aufeinandergeprallt. Doch wird der Mann, den ich töten will, auch hier, an diesem Abend, unter den Streichen meines Schwertes fallen, fragte sich der bundori- Mörder. Werde ich eine weitere Trophäe erringen, um die Ehrenschuld abzutragen, die so lange Zeit darauf gewartet hat, beglichen zu werden?
Für einen Augenblick dachte er über die praktischen Probleme nach, sein nächstes Opfer zu finden, zu töten und einer Gefangennahme zu entgehen. Dann löste er sich aus Gegenwart und Wirklichkeit und jagte mit einem schwindelerregenden, verzückenden Sturm aus der normalen Welt hinüber in sein Traumreich.
Der Frühling war einem heißen, trockenen Sommer gewichen. Fürst Odas Heer hatte Asais Hinterhalt überwunden und war dank der meisterlichen Führung der Nachhut durch den bundori -Mörder sicher nach Kyōto zurückgekehrt. Jetzt war die Zeit gekommen, den Verräter Asai und Fürst Asakura ein für allemal zu vernichten. Fürst Odas Truppen waren auf einem nächtlichen Marsch und rückten rasch voran, zu Fuß und zu Pferde, unter einem prallen, runden gelben Mond. Ihr Ziel war Asakuras Hauptquartier.
Der bundori- Mörder führte seine Einheit. Unter seiner Rüstung lief ihm der Schweiß über Brust und Rücken. Späher hatten soeben die Nachricht gebracht, daß Asai und Asakura am gegenüberliegenden Ufer des Flusses Anegawa eine Streitmacht von zwanzigtausend Kriegern versammelt hatten. Der metallene Helm des bundori- Mörders verstärkte das Rauschen des Blutes und den dröhnenden Schlag seines Herzens so sehr in seinen Ohren, daß er beinahe den Hufschlag der Pferde, die Schritte der Soldaten und die Gesänge der Insekten in den umliegenden Wäldern übertönte.
Der bundori- Mörder befehligte die Truppen aus neuen Soldaten – Männer, die in jenen Gegenden ausgehoben worden waren, die Fürst Oda erobert hatte. Gilt die Treue und Ergebenheit dieser Krieger wirklich ihrem neuen Herrn, fragte sich der bundori -Mörder. Kannst du dich auf sie verlassen?
Der noch jugendliche General ließ sich seine Zweifel nicht anmerken, indem er wie ein erfahrener Kriegsherr auftrat, der unbedingten Gehorsam verlangen und erwarten durfte. Die Armee marschierte zum Ruhm – oder in den Tod. Der Mond erreichte den höchsten Punkt seiner Bahn am Himmel und begann dann seinen Abstieg.
»Hört nur! Hört!« raunte jemand.
Aus der Ferne war der rhythmische, dumpfe Klang von Kriegstrommeln zu vernehmen. Sogleich begannen Odas Trommler mit einer donnernden Gegendrohung. Das Heer rückte schneller voran. Die Hufe der Kriegsrosse dröhnten, und Tausende von Schwertern sangen metallisch, als sie aus den Scheiden gezogen wurden. Die Truppen bezogen am Flußufer ihre Stellungen: vorn die Gewehr- und Bogenschützen, dann die Schwertkämpfer und Speerschleuderer, und schließlich, in der Nachhut, die Generäle.
Plötzlich verstummte der Trommelschlag. Als der bundori -Mörder über die dunklen Wasser des Flusses auf die wartende feindliche Heerschar blickte, verflog seine Furcht; er kannte keine Zweifel mehr, keine Ängste. Es war die Pflicht eines jeden Samurai, in den Schlachten seines Herrn zu siegen oder ehrenvoll zu sterben. Mit stoischer Ergebenheit wartete der bundori- Mörder auf Fürst Odas Befehl.
Die lastende Stille schien eine Ewigkeit zu währen. Die heiße Nacht war vollkommen lautlos. Dann ertönte Fürst Odas gellender Kriegsschrei.
Vom gegenüberliegenden Ufer erklang Fürst Asakuras herausfordernde Antwort.
Mit mörderischem Gebrüll und ohrenbetäubendem Gewehrfeuer stürzten die feindlichen Heere sich in den Fluß und stürmten aufeinander los.
7
W
as hat deine Suche ergeben?« fragte Sano den dōshin Hirata vom Pferderücken aus, als sie an diesem Abend wie verabredet auf der breiten Prachtstraße zusammentrafen, die am Wassergraben des Palasts von Edo entlangführte.
In einer Geste der Hilflosigkeit breitete Hirata die Hände aus. » Gomen nasai . Es tut mir leid, aber wir haben jedes Gebäude durchsucht, das sich im Umkreis zweier Stadttore vom Schauplatz des Mordes befindet, konnten aber keinen einzigen Zeugen auftreiben. Wir haben auch niemanden entdeckt, der sich verdächtig benahm, und wir haben kein Blut oder sonstige Spuren gefunden. Einer der Torwächter sagte, er
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