Die Rache des Samurai
Gegenstand ergreifen konnte.
»Was glaubt Ihr eigentlich, was Ihr tut?« stieß Sano hervor, zornig und verwirrt zugleich.
»Feuer! Feuer!« rief Aoi. Der Trancezustand war von ihr abgefallen; ihre Stimme war klar und scharf, und auf ihrem hellwachen Gesicht spiegelte sich Furcht.
Sano senkte den Blick und sah, daß die umgestürzten Kerzen in den trockenen Fichtennadeln schwelten, die den Waldboden bedeckten. Flammen loderten empor.
Sano sprang auf, um das Feuer auszutreten. Hastig versuchte Aoi, ihm zu helfen. Dabei geriet sie Sano in den Weg und prallte mit ihm zusammen. Sano warf die Arme um sie, um zu verhindern, daß sie beide zu Boden stürzten.
Er spürte, wie sein Inneres zu geschmolzener Hitze wurde. Ihr Körper war fest, warm und biegsam, und ihr Gesicht war ganz dicht vor dem seinen. Er spürte ihre Brüste, die weiblichen Rundungen ihres Körpers. Er hielt den Atem an, als eine Woge der Begierde ihn überschwemmte, seine Sinne umnebelte und sein Glied steif werden ließ. Während des langen Augenblicks, da Sano Aoi in den Armen hielt, konnte er an ihrem heftigen Atem, den leicht geöffneten Lippen und dem Ausdruck in ihren großen Augen erkennen, daß ihr Begehren genauso heftig war wie das seine.
Dann aber löste sie sich mit einem entschlossenen Ruck aus Sanos Umarmung. Sie kniete sich vor den umgestürzten Altar, das Gesicht abgewendet, die Arme um den Oberkörper geschlungen.
Sano trat die letzten Flammen aus. Er stellte den Altar wieder auf, nahm die Kerzen und Weihrauchschalen vom Waldboden und ordnete sie wieder so an wie zuvor. Dann legte er das Schildchen dazu, das an einem Ende angesengt war, dann das Haar, von dem einige Strähnen fehlten, und schließlich den Beutel. Als Sano seinen Platz auf dem Waldboden wieder einnahm, spürte er, daß er zitterte. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und sein Körper bebte noch immer vor Verlangen. Überdies hatte die rasche Aufeinanderfolge der verschiedenen heftigen Gefühlsregungen ihn völlig erschöpft – der Schock, die Stimme seines Vaters zu hören; das Hochgefühl, eine erste Beschreibung des Mörders zu erhalten; das abrupte, chaotische Ende des Rituals und die Erregung bei der Umarmung Aois.
»Ist alles in Ordnung?« fragte er Aoi.
Sie nickte, ohne ihn anzuschauen.
»Was ist geschehen?«
Als sie Sano anblickte, sah er, daß sie die Fassung wiedererlangt hatte, wenngleich ihr Gesicht noch bleicher geworden war. »Verzeiht mir, daß ich mich so tölpelhaft benommen habe. Aber manchmal erzählen Gegenstände mir von den Orten, an denen sie gewesen sind. Von den Menschen, von denen sie berührt wurden. Von den Gefühlen, die sie in sich aufgenommen haben. Das Schildchen hat mich beängstigende Dinge sehen und fühlen lassen.«
Nichts an ihrem kühlen Auftreten ließ erkennen, daß sie und Sano einander körperlich so nahe gewesen waren. Sano versuchte, seine Erregung niederzukämpfen und sich wieder auf den Mordfall zu konzentrieren. »Ihr habt von marschierenden Soldaten gesprochen«, sagte er, »und daß jemand sein Schwert gezogen hat. War es der bundori- Mörder?«
Aoi schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Aber ich konnte große Kampfeslust in seinem Inneren spüren.«
Ein neuer Gedanke ließ Sano die Erschöpfung und Erregung vergessen. »Vielleicht betrachtet der Mörder seine Taten als kriegerische Handlungen, so wie der Shōgun«, sagte er. »Aber war Kaibara der Feind des Mörders, oder war es Araki Yojiemon?« Das Bild einer Schlacht paßte besser zu Arakis Lebzeiten als zur Gegenwart. »Und falls der Mörder es doch auf Kaibara abgesehen hatte – weshalb hat er dann nicht dessen Namen auf das Schildchen geschrieben?«
»Vielleicht wollte er, daß beide sterben.«
Sano erkannte, daß Aoi nicht wußte, wer Araki gewesen war. »General Araki ist vor mindestens hundert Jahren gestorben«, erklärte er.
»Dann hat der Mörder die beiden vielleicht in seiner Vorstellung in Verbindung gebracht und den noch lebenden Mann angegriffen.«
»Das wäre möglich«, gab Sano zu, fasziniert von diesem Gedanken. Ob eine Verbindung zwischen den Araki und den Kaibara bestand, würde sich zeigen, wenn er morgen die Familie Kaibara befragte. »Aber warum hat der Mörder den Mann getötet, von dem ich Euch eine Haarsträhne mitgebracht habe? Er war ein Eta, der keine erkennbaren Verbindungen zu zwei hochrangigen Samurai besaß.«
Interesse belebte Aois Züge, als sie sofort auf diese Herausforderung einging. »Wenn ein Samurai seine
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