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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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senkte sich unter tiefen Atemzügen. Ihr Blick war nach innen gerichtet, und ihre Atmung wurde nach und nach langsamer, bis sie völlig auszusetzen schien. Offenbar versank Aoi in eine Trance, die dem Zustand tiefer Meditation ähnelte.
    Die Zeit verstrich. Sano wartete ruhig; auch er war durch den Weihrauch, Aois todesähnliche Unbewegtheit und den hypnotisierenden Anblick der flackernden Kerzen tief in sich selbst versunken. Am Rande seiner bewußten Wahrnehmung hörte er das Heulen des Windes draußen vor der Lichtung und das Bellen eines Hundes irgendwo weiter unten am Hügel. Dann, als die Kälte ihm bis ins Mark kroch, wurde Sano aus seinem tranceähnlichen Zustand geweckt. Er betrachtete Aoi und verspürte das beinahe unwiderstehliche Verlangen, diese Frau zu berühren, die noch immer vollkommen regungslos dasaß.
    Plötzlich öffnete sich ihr Mund, und sie stieß ein Stöhnen aus, das mit hohen Lauten begann, dann die Tonleiter hinunter- und wieder hinaufstieg. Sano starrte Aoi an, gebannt von der machtvollen erotischen Unterströmung dieser Zeremonie. Die feuchten Lippen Aois, ihr Stöhnen, das immer schnellere Auf und Ab ihres Busens bei den raschen Atemzügen und der schimmernde Schweiß auf ihrem Gesicht – dies alles erinnerte an eine Frau im Zustand lustvoller Erregung. Sano konnte sogar die Brustwarzen Aois sehen; groß und aufgerichtet zeichneten sie sich unter dem Stoff des Kimonos ab. Heißes Blut strömte ihm in die Lenden. Das Verlangen, diese Frau zu berühren, wurde schier überwältigend.
    Plötzlich begann sie zu sprechen.
    »… mein Sohn. Versprich …«
    Es war die Stimme eines alten Mannes, schwach und zerbrechlich von einer tödlichen Krankheit. Aois Gesicht nahm einen auf verblüffende Weise vertrauten Ausdruck an. Sano beugte sich so ruckartig vor, daß er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte und gegen den Altar gestürzt wäre. Das Erschrecken verscheuchte die lustvolle Erregung, als Sano das Gesicht und die Stimme seines Vaters erkannte.
    »Sei die lebendige Verkörperung des bushidō … «
    Selbst als Sano noch darum kämpfte, den Schock zu überwinden, seinen Vater durch Aois Mund reden zu hören, suchte sein Verstand bereits nach einer logischen Erklärung für dieses Phänomen. Als Aoi in seiner Villa gewesen war, mußte sie den Gedenkaltar bemerkt haben; denn er ließ erkennen, daß der alte Mann erst kürzlich verstorben war. Wie aber konnte Aoi das Wesen eines Menschen herbeirufen, den sie nie kennengelernt hatte, und Worte sprechen, die nur Sano vernommen hatte, und niemand sonst? Alle seine Zweifel an Aois übernatürlichen Fähigkeiten wurden von einer Flut der reinen Freude hinweggespült.
    »Vater«, flüsterte Sano und streckte die Hand aus, um die unerklärliche Verkörperung seines schmerzlich vermißten alten Herrn zu berühren.
    Tiefe Enttäuschung überkam ihn, als Aois Gesicht plötzlich wieder die gewohnten Züge annahm und sie erneut das an- und abschwellende Stöhnen von sich gab. Sie löste die ineinander verschränkten Hände und nahm Kaibaras Beutel auf. Ihre Lider senkten sich. Sie preßte den Beutel zwischen die Handflächen, rieb den Stoff an ihrer Nase und dem Mund und fuhr mit der Zunge über den baumelnden netsuke , als könnte sie Kaibaras Geist durch diese Berührungen hervorlocken. Schließlich drückte sie sich den Beutel in den Schoß und sagte mit hoher, mißmutiger, jammernder Stimme:
    »Im letzten Jahr meines Lebens wurde ich von tiefem Kummer geplagt, und der Tod war mir eine willkommene Erlösung. Warum mußt du meinen wohlverdienten Schlaf stören?«
    »Ich … ich möchte wissen, wer Euch ermordet hat«, sagte Sano, stockend vor Schreck, daß der Geist sich direkt an ihn gewandt hatte – noch dazu mit einer Stimme, wie der zerbrechliche alte Kaibara, dessen verstümmelte Überreste nun in der Leichenhalle von Edo ruhten, sie durchaus besessen haben konnte.
    Ein langer, bebender Seufzer. »Was spielt das für eine Rolle? Was geschehen ist, ist geschehen.«
    »Euer Mörder muß daran gehindert werden, weitere Menschen umzubringen«, drängte Sano. »Bitte, Kaibara- san , sagt mir, was in Eurer letzten Nacht auf Erden geschehen ist. Habt Ihr Euren Mörder gesehen?«
    Eine lange Pause. Sano bemerkte mit Verwunderung, daß Aoi Kaibaras äußere Merkmale angenommen hatte: Ihr Körper war zusammengesunken, der Unterkiefer schlaff, die Augen trüb. Und waren nicht sogar Runzeln und Falten im Gesicht und am Hals zu sehen, die vorher nicht da

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