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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Schritte verursachten ein leises, tappendes Geräusch auf den steinernen Platten; eine heftige Brise wehte ihm in den Rücken, als wollte sie ihn vorantreiben.
    Aoi stieg anmutig die Treppe hinunter, um Sano zu begrüßen. Der Wind wirbelte die dunkle Kleidung um ihren Körper. Wortlos verbeugte sie sich; dann wartete sie, daß Sano das Gespräch eröffnete.
    »Ich habe die Gegenstände mitgebracht, um die Ihr mich gebeten habt«, sagte er. »Einen Beutel, der Kaibara Tōju gehörte, und die Haarsträhne eines anderen, auf dieselbe Art und Weise ermordeten Mannes. Außerdem ein Schildchen aus Papier, das an der Trophäe befestigt war.«
    Doch in dieser phantastischen Umgebung klangen seine Worte banal und bedeutungslos. Die Hauptgebetshalle, die sich hinter Aoi erhob, war wie ein funkelndes architektonisches Traumbild aus vergoldeten Säulen und Gittern, geschnitztem Holz und behauenem Stein, einem Meer aus gewellten Giebeldächern und Verzierungen, die mit leuchtenden Farben bemalt waren: Bilder von Blumen oder geometrische Muster zierten die Wände; furchterregende Dämonen kletterten die Säulen hinauf; Drachen wanden sich über dunklen Türeingängen; Löwen starrten von Dachvorsprüngen; Phönixe erhoben sich, die Schwingen ausgebreitet, von den Spitzen und Zinnen des Daches. Die Tokugawa hatten keine Kosten und Mühen gescheut, ihre Ahnen zu ehren.
    Im Gegensatz zu all dieser Pracht besaß Aoi mit ihrem dunklen Haar, der ebenso dunklen Kleidung und der bleichen Haut die schlichte, aber um so eindrucksvollere Ausstrahlung eines Schwarzweißgemäldes.
    »Kommt mit mir«, sagte sie.
    Beim Klang ihrer rauchigen Stimme wurde Sano von einem warmen, wohligen Schauder durchrieselt. Fasziniert folgte er Aoi vom Platz vor der Hauptgebetshalle in den umliegenden Wald, wo ihre Lampe die Finsternis kaum zu durchdringen vermochte. Sano tastete sich voran und eilte stolpernd und taumelnd an den Bäumen vorüber, als er Aois raschen, sicheren Schritten zu folgen versuchte.
    Sie blieben an einer Stelle stehen, an der die überhängenden Äste der Bäume einen natürlichen Schutz vor dem Wind bildeten. Doch die Nacht schien hier noch kühler zu sein, so, als würden die Kiefern eine harzige Kälte ausstrahlen. Die plötzliche, tiefe Stille klingelte Sano in den Ohren. Aoi hob die Lampe, und in ihrem Licht sah Sano, daß sie sich in einer Art natürlichem Tempel befanden, der vom Wald gebildet wurde – eine runde Lichtung, deren Boden von Kiefernnadeln bedeckt war. In der Mitte der Lichtung stand ein Altar, und auf der einen Seite war am Waldrand die moosbedeckte Statue einer Gottheit zu sehen, die Sano nicht erkennen konnte.
    Aoi kniete vor dem Altar nieder und benützte die Lampe, um die Kerzen und Weihrauchpfannen anzuzünden, die kreisförmig darauf angeordnet waren. Dann kniete Sano sich Aoi gegenüber. Seine Neugier wuchs, was diese rätselhafte Frau betraf.
    »Habt Ihr schon immer im Palast gewohnt?« fragte er.
    »Nicht immer, Herr.« Im Licht der Kerzen schimmerte ihre Haut wie Elfenbein; Sano verspürte das Verlangen, sie zu streicheln und ihre Glätte und Weichheit zu fühlen. Der Weihrauch, der aus den Pfannen aufstieg und einen süßen, schweren Moschusgeruch verbreitete, umwogte Aoi und hüllte sie in einen dünnen, nebelartigen Schleier.
    Sano versuchte es noch einmal. »Wie lange seid Ihr schon Tempelwächterin?«
    »Sechs Jahre, Herr. Zuvor war ich Palastdienerin.«
    Versucht sie, dein Interesse an ihr einzuschläfern, indem sie dich an ihren niederen Rang erinnert, fragte sich Sano.
    »Woher kommt Ihr?« erkundigte er sich; denn ihrer langsamen Sprechweise nach zu urteilen, stammte sie nicht aus Edo.
    Nachdem Aoi den Altar vorbereitet hatte, faltete sie die Hände im Schoß. »Aus der Provinz Iga, Herr.« Ein leichter Beiklang von Ungeduld in ihrem ansonsten höflichen Gebaren ließ erkennen, daß sie keine weiteren persönlichen Fragen wünschte. »Wenn Ihr die Gegenstände jetzt bitte auf den Altar legen würdet.«
    Sano zog den Beutel, die in Papier eingewickelte Haarsträhne und das Schildchen unter seiner Schärpe hervor und legte alles so ins Innere des Kreises aus Kerzen und Weihrauchpfannen, wie Aoi es ihm bedeutete. Aoi hatte recht. Die Nachforschungen in den Mordfällen waren vorerst wichtiger als alles andere. Aoi aus der Reserve zu locken war eine reizvolle Herausforderung, der Sano sich erst später stellen wollte.
    Aoi blickte auf die Gegenstände. Bewegungslos saß sie da; nur ihre Brust hob und

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