Die Rache des Samurai
Auseinandersetzungen einzulassen, geschweige denn, sie mit Waffen auszukämpfen. Noguchi war um die fünfzig Jahre alt und besaß kleine, ausdrucksvolle Augen in einem runden, kindlichen Gesicht. Wenn er die Stirn runzelte, so wie jetzt, stiegen die Falten auf seiner Stirn bis zu seinem kahlrasierten Scheitel hinauf.
Sano mochte Noguchi, seit sie sich zum erstenmal begegnet waren. Der Archivar war freundlich, gütig und hilfsbereit, und er teilte Sanos Liebe zur Geschichte. Doch Sano hatte sich einen gestrengeren Meister gewünscht, als er sein Amt angetreten hatte – in der Hoffnung, Glück und Erfüllung darin zu finden.
»Große Güte, was bin ich froh, daß ich Euch noch eingeholt habe«, stieß Noguchi keuchend hervor.
Sano ließ sich seine Ungeduld nicht anmerken, als er seine Schritte verlangsamte, um sich Noguchis Tempo anzupassen. Für seinen Vorgesetzten mußte er aus Höflichkeit einige Augenblicke kostbarer Zeit erübrigen, auch wenn der Shōgun ihn zu sich bestellt hatte.
»Ich habe die frohe Kunde für Euch, daß die Verhandlungen, Eure Heirat betreffend, recht zufriedenstellend vorangehen«, fuhr Noguchi fort. »Die Ueda haben einem miai zugestimmt – einem förmlichen Treffen –, damit Ihr, Fräulein Reiko und Eure Familien, einander besser kennenlernt.«
Sano freute sich aufrichtig über diese Nachricht. »Die Bemühungen, die Ihr für mich auf Euch nehmt, Noguchi- san , weiß ich von Herzen zu schätzen«, sagte er und benützte die förmlichen – und in seinem Fall aufrichtig gemeinten – Ausdrücke der Dankbarkeit, wie der Brauch sie vorschrieb.
Sano, der im fortgeschrittenen Alter von einunddreißig Jahren noch immer ledig war, sehnte sich nach Frau und Familie, besonders nach einem Sohn, der seinen Namen weitervererben konnte. Überdies hegte er den romantischen, aber unrealistischen Wunsch nach der persönlichen Intimität, die eine Ehe ihm möglicherweise geben konnte, selbst wenn sie Zweckdenken entsprang. Bislang hatte er seines Vaters wegen auf eine Ehe verzichtet; der alte Mann war stets darauf bedacht gewesen, das gesellschaftliche Ansehen der Familie zu vergrößern und ihren Reichtum zu mehren. Deshalb hatte er es strikt abgelehnt, daß Sano eine Frau aus dem eigenen Stand heiratete; statt dessen hatte er nur Töchtern wohlhabender, hochrangiger Samurai, die Gefolgsleute angesehener Adelshäuser waren, Anträge überbringen lassen. Doch diese Anträge waren allesamt abgewiesen worden. Nun aber, als Hofbeamter des Shōgun, hatten Sanos Aussichten sich erheblich verbessert. Und Noguchi, der als sein Mittelsmann fungierte – wie es beim Vorgesetzten eines Samurai oft der Fall war –, hatte sich als geschickt erwiesen. Die Ueda waren erbliche Gefolgsleute der Tokugawa; Reikos Vater war der für den Südteil Edos zuständige Magistrat und ein sehr wohlhabender Mann.
»Falls beim miai alles gut verläuft«, sagte Noguchi, »dann werde ich bald – natürlich erst, wenn die Trauerzeit für Euren Vater vorüber ist – das Vergnügen haben, an Eurer Hochzeitsfeier teilzunehmen. Große Güte!«
Er lächelte, runzelte dann aber wieder die Stirn, daß die Falten noch höher auf seinen kahlen Scheitel stiegen. Sano wartete. Er spürte, daß dem Archivar irgendwelche Sorgen zu schaffen machten, die nichts mit den Heiratsverhandlungen zu tun hatten.
Schließlich sagte Noguchi: »Manchmal – ohne so viele Worte zu machen, wie ich es jetzt tue – kann man jemandem zu verstehen geben, daß man eine bestimmte Aufgabe zwar gern erfüllen möchte, seine Zeit jedoch auf andere Weise nutzbringender verwenden kann.«
Noguchi war von der direkten Rede zu der vorsichtigen, überlegten und gewundenen Ausdrucksweise übergewechselt, die von vielen Angehörigen der gebildeten Oberschicht benützt wurde. Er betrachtete Sano mit festem Blick, als er fortfuhr und sich vorsichtig dem Kern der Sache näherte. »Ebenso ist es möglich, den Eindruck zu hinterlassen, daß eine bestimmte Aufgabe besser jemand anderem übertragen werden sollte. Selbstverständlich, ohne daß dabei Zweifel an der Bereitwilligkeit und den Fähigkeiten desjenigen entstehen, der diese Aufgabe ursprünglich übernehmen sollte. Ich glaube sogar, daß ein kluger Mann es bewerkstelligen könnte, andere von seiner Meinung über eine bestimmte Angelegenheit zu überzeugen, von der er nicht einmal die genauen Hintergründe kennt, ohne daß er dabei das Wagnis eingeht, das Gesicht zu verlieren oder sich einen Tadel
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