Die Rache des schönen Geschlechts
einen Fehler gemacht hatte. Es fielen nämlich erste Regentropfen, dick und spärlich, aber man merkte schon, dass sie nur die übel gesinnte Vorhut eines erbarmungslosen Heeres waren. Selbiges Heer ging an der Ampel in der Via Montello stramm zum Angriff über. Im Nu war der Commissario völlig durchnässt, die Socken in den Schuhen waren eingesuppt. Was tun? Beherzt schritt er schneller aus und bog rechts in den Viale Carso ein, wobei er mal in Pfützen tappte, die nur ein bisschen kleiner waren als das Kaspische Meer, mal auf einer gefährlichen Mischung aus Matsch, Laub und Hundekacke ausrutschte. Und hier zog ein Alliierter des Regens zu Felde: Ein kalter Wind überfiel ihn hinterrücks und trieb ihn vor sich her. An der Ecke Via Asiago beschloss die Schiebermütze, die Montalbano beim Verlassen des Hotels aufgesetzt hatte, die Flucht zu ergreifen, obwohl sie so mit Wasser voll gesogen war, dass sie mindestens einen Zentner wog; sie rollte über den Boden und bog in die Straße ein, in der sich die RundfunkStudios befanden, wie Montalbano irgendwo gelesen hatte. Reflexartig rannte er hinter der Mütze her, die endlich liegen blieb. Direkt neben einem Hut. Einem umgedrehten, merkwürdig verlassenen Hut, der sich langsam mit Regenwasser füllte. So hieß doch auch ein berühmter Film: A HatfuI of Rain. Der Commissario sah sich um: Normalerweise sitzt ein Hut auf dem Kopf von jemandem, vor allem wenn es in Strömen regnet. Aber wo war dieser jemand? Da hörte er ihn plötzlich hinter sich, diesen jemand, und als Montalbano sich nach Mütze und Hut bückte, rief eine aufgeregte, keuchende Stimme: »Finger weg!«
Folgsam nahm er nur seine Mütze und richtete sich wieder auf. Da stand der Besitzer des Hutes vor ihm. Ein Zwanzigjähriger mit Bart und Ohrring, der ihn böse ansah. Ein Windstoß hatte den Hut dem Commissario jetzt an die Füße geheftet.
»Weg da«, sagte der junge Mann.
»Nein«, erwiderte der Commissario, der bei so miesem Wetter wie jetzt leicht in Zorn geriet und sich gern mit anderen anlegte. »Du bückst dich und hebst ihn auf.«
Ohne ein Wort zu sagen, verpasste ihm der bärtige junge Mann einen Schwinger in die Magengrube, und während Montalbano sich vor Schmerzen krümmte, hob der andere den Hut auf, rannte weg und verschwand linker Hand in einer Straße. Der Commissario holte tief Luft und machte sich an die Verfolgung. Das würde er dem Knaben nicht durchgehen lassen. Was waren denn das für beschissene Manieren? Bestimmt ein Junkie. Er sah ihn in einiger Entfernung schnell laufen, der Junge hatte eine schmale Straße zur Hälfte zurückgelegt und befand sich zwischen einer Kirche und dem Gebäude des RAI-Fernsehens mit dem Pferd davor. Montalbano wusste, dass er sich von der Via Costabella entfernte, aber seine Wut war stärker. Der andere rechnete offenbar nicht damit, dass er verfolgt wurde, und ging jetzt ruhig, ohne Hast, obwohl es noch immer in Strömen goss.
Der junge Mann überquerte den Viale Mazzini und bog dann in eine Straße ein, die, wie der Commissario meinte, Via Ruffini hieß. Hier fühlte Montalbano sich imstande, die Sache in Angriff zu nehmen. Er ging schneller und rief, als er den Mann fast eingeholt hatte: »He, du!«
Der Typ drehte sich um, erkannte ihn und blieb wie angewurzelt stehen, lange genug, dass der Commissario auf ihn losgehen und ihm ebenfalls einen Schwinger in die Magengrube verpassen konnte.
Der junge Mann stöhnte auf, fand aber trotzdem die Kraft zu reagieren und trat ihm mit aller Kraft ans linke Bein. Montalbano unterdrückte den Schmerz und warf sich auf den Burschen. Der riss ihn an den Haaren, der Commissario bohrte ihm einen Finger ins Auge. Sie stürzten zu Boden und wälzten sich in Matsch und Wasser. Da ließ eine Stimme sie einhalten: »Aufhören! Polizei!«
Erst jetzt, als er den Jungen abschüttelte, merkte Montalbano, dass er sich ausgerechnet vor einem Polizeikommissariat geprügelt hatte.
Beide wurden nicht gerade liebenswürdig hineinbefördert. Man verlangte die Papiere, und der Commissario, der vor Scham am liebsten im Boden versunken wäre, musste sich ausweisen. Daraufhin brachte man ihn in das Büro seines römischen Kollegen Di Giovanni, der ihn vom Namen her kannte.
»Ich weiß gar nicht, wie ich mich entschuldigen soll. Ich wollte diesem Blödmann einen Gefallen tun und seinen Hut aufheben, der ihm weggeflogen war, und da haut der mir eine rein, ohne jeden Grund, Di Giovanni, das musst du mir glauben. Ich habe ihn
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