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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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verschwunden, bevor er ins Haus kam.« »Und so was nennst du Vorahnung?«
    »Wie soll ich's denn sonst nennen?«
    »Mimi, als ich träumte, dass du erschossen würdest, war das deiner Meinung nach eine Vorahnung?«
    »Nein, mich hat ja niemand erschossen.«
    »Schade.«
    Die Tür flog mit solcher Wucht auf, dass sie an die Wand knallte und ein bisschen von den Putzresten herunterbröselte, die rings um den Türrahmen noch übrig waren. »Ist dir die Hand ausgerutscht?«, fragte der Commissario, der es längst aufgegeben hatte. »Nein, Dottori, diesmal bin ich gerutscht.«
    »Was gibt's?«
    »Da ist ein Schnellbrief angekommen, der hat Ihre persönliche Adresse.«
    »Dann gib her.«
    »Ich hol ihn schnell.«
    »Weißt du, warum Catarella am Computer so gut ist?«, fragte Montalbano Mimi. »Weil sein Kopf auf die gleiche Weise funktioniert. Er teilt mir mit, dass ein Brief für mich angekommen ist, aber er bringt ihn erst, wenn ich ihm mein Okay gebe.«
    Catarella kam zurück, legte den Brief auf den Tisch, drehte sich um und ging zur Tür. Montalbano verwandelte sich plötzlich in eine Statue mit halb offenem Mund. »Catarella!«
    Der blieb stehen und wandte sich um. »Ai comanni, Dottori.«
    »Warum ziehst du das linke Bein nach?«
    »Es tut weh, Dottori.«
    Der Computer brauchte einen weiteren Input. »Und
    warum tut es weh?«
    »Weil ich heute Nacht schlecht geträumt hab, und da hab ich mich dauernd rumgedreht und rumgedreht, bis ich aus dem Bett gefallen bin, Dottori.«
    Montalbano wollte nicht fragen, was Catarella Schlechtes geträumt hatte. Er spürte ein unangenehmes Kribbeln an der Wirbelsäule und war plötzlich unruhig. Mimi Augello hatte die Szene beobachtet und wurde immer neugieriger. Aber er sprach erst, als Catarella die Tür hinter sich zugemacht hatte.
    »Sag mal, Salvo, hat Catarella in deinem Traum auch gehumpelt?«
    Was für ein guter Bulle Mimi Augello doch war! »Nein.«
    Um nichts in der Welt hätte Montalbano ihm diese Genugtuung gegönnt.
    Fazio kam herein, einen schwankenden Stapel unterschriftsfertiger Papiere auf den ausgestreckten Armen. »Nein!«, fuhr ihn der Commissario an; er war ganz blass geworden.
    »Tut mir Leid«, sagte Fazio, »aber diese Unterlagen müssen heute noch raus. Da hilft alles nichts.«
    Er legte den Stapel auf den Tisch. Der gerade angekommene Brief wurde darunter begraben. Er kam erst wieder zum Vorschein, als es draußen bereits stockdunkel war. Aber da war Montalbano zu müde, und es grauste ihm vor seinem Namen: Allein beim Lesen der Adresse wurde ihm speiübel. Er würde den Brief am folgenden Morgen öffnen.
    »Weißt du was Lustiges, Livia? Ich hab gestern von Catarella geträumt!«
    Keine Reaktion am anderen Ende der Leitung. »Hallo? Hallo?«
    »Ich bin noch da.«
    »Ah. Ich sagte gerade, dass ich gestern.«
    »Ich habe es gehört.«
    Die Stimme kam nicht mehr aus Boccadasse, Genua, sondern aus dem Packeis im Schneesturm. »Livia, was ist denn? Was habe ich denn gesagt?«
    »Du hast gesagt, dass du von Catarella geträumt hast, reicht das nicht?«
    »Livia, ma si nisciuta foddri?«
    »Sprich nicht Dialekt mit mir.«
    »Sag bloß, du bist eifersüchtig auf Catarella!«
    »Du bist manchmal unerträglich blöd, Salvo. Es geht doch nicht um Eifersucht.«
    »Worum denn dann bitte?«
    »Zu mir hast du noch nie gesagt, du hättest von mir geträumt, noch nie.«
    Das stimmte. Er hatte von ihr geträumt und träumte weiterhin von ihr, aber er sagte es ihr nie. Warum eigentlich nicht?
    »Wo ich jetzt so darüber nachdenke.«
    Aber am anderen Ende war niemand mehr. Kurz dachte er, er sollte sie noch mal anrufen, doch dann ließ er es bleiben. Livia hatte eindeutig schlechte Laune, sie hätte jedes Wort in den falschen Hals gekriegt und noch einen Streit vom Zaun gebrochen. Er setzte sich vor den Fernseher, gerade rechtzeitig zu den letzten Nachrichten bei >Retelibera<. Nach der Erkennungsmelodie erschien sein Freund Nicolo Zito und erklärte, der erste Bericht sei einem Vorfall gewidmet, der sich morgens ereignet habe,  nämlich dem tödlichen Sturz eines Bauarbeiters von einem Gerüst. Über dieses Unglück habe >Retelibera< in den Nachrichten um acht Uhr morgens und dann noch einmal um dreizehn Uhr berichtet. Nicht aber in den SiebzehnUhr-Nachrichten. Warum nicht? Weil diese Meldung in unserem immer hektischeren, verworreneren Lebensrhythmus - fuhr Nicolo fort - keine Nachricht mehr hergebe, sie sei innerhalb weniger Stunden bereits veraltet. Er bringe sie jetzt

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