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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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noch mal - erklärte er -, weil er eine Blitzumfrage darüber angestellt habe, wie oft in der Provinz Montelusa im vergangenen Monat solche >Arbeitsunfälle<, wie man das beschönigend nenne, passiert seien. Sechsmal. Sechs Todesfälle, weil die Unternehmer die elementarsten Sicherheitsvorschriften komplett missachteten. An die Stelle von Nicolos Gesicht traten ohne jede Vorankündigung die erschütternden Bilder der zerschlagenen, zerfetzten Toten. Unter jedem Bild das Datum des Unfalls und der Ort, an dem er passiert war. Montalbano wurde schlecht. Zito erschien wieder und erklärte, er habe diese Bilder, die normalerweise der Selbstzensur unterlägen, extra gesendet, um Empörung bei den Zuschauern zu wecken. »Diese Arbeitgeber sind frei herumlaufende Mörder«, sagte Nicolo abschließend. »Wenn Sie einen auf der Straße treffen, dann denken Sie an diese Bilder.«
    Bei >Televigata< weihte Staatssekretär Carlo Posacane eine neue Straße ein, eine Art Autobahn, die seinen Geburtsort Sancocco (313 Einwohner) mit einem Wald aus Eisenbetonpfeilern verband, dessen Funktion nicht weiter erläutert wurde. Vor dreihundert Mitbürgern (die dreizehn Abwesenden wählten vielleicht links) sagte der Staatssekretär, er sei, was er sehr bedaure, überhaupt nicht einverstanden mit seinem Parteikollegen und Minister, der die Ansicht geäußert habe, mit der Mafia müsse man sich notwendigerweise arrangieren. Nein, die Mafia gehöre zerschlagen. Allerdings müsse man differenzieren, man dürfe nicht verallgemeinern, alles über einen Kamm scheren. Es gebe Männer, mustergültige Ehrenmänner sagte der werte Staatssekretär bebend vor Empörung -, die immer für die Gerechtigkeit gekämpft, sogar den Staat ersetzt hätten, wenn dieser sich bedeckt gehalten habe, und dafür seien sie von der so genannten Rechtsprechung mit dem schändlichen Brandmal des Mafioso belohnt worden! So etwas werde es mit der neuen Regierung nicht mehr geben - endete der Abgeordnete unter tosendem Applaus. Neben ihm stand Vincenzo Scipione, genannt 'u zu Cece, Onkel Cece - Ehrenmann, treuer Wähler des Staatssekretärs und Inhaber der Baufirma - und trocknete sich tief bewegt eine Träne.
    »Catarella!«
    Im Nu erschien Catarella in der Tür, die zum Glück offen stand.
    »Ai comanni, Dottori.«
    »Catarella, wo ist der Brief, der gestern Abend hier auf dem Tisch lag?«
    »Weiß ich nicht, Dottori. Aber heute Früh war die polizia da, vielleicht haben die den Brief woanders hingetan.«
    Die polizia, die Polizei? Hatte dieser Arsch von Polizeipräsident es etwa geschafft, sein Büro durchsuchen zu lassen?
    »Welche polizia, Catarella?«, fragte er gereizt. »Na, die polizia eben, der Trupp, der immer am Montag, am Mittwoch und am Freitag kommt. Der von immer.«
    Montalbano fluchte. jedes Mal, wenn die Leute von der pulizia, dem Putztrupp, da gewesen waren, fand er überhaupt nichts mehr auf seinem Schreibtisch. Catarella hatte sich inzwischen gebückt und mit dem Brief in der Hand wieder aufgerichtet. »Der ist runtergefallen.«
    Als der Wachtmeister an die Tür ging, merkte der Commissario, dass er noch mehr humpelte als am Tag vorher. »Catare, geh doch mal zum Arzt und lass dein Bein anschauen.«
    »Der ist aber weg.«
    »Geh zu einem anderen.«
    »Nein, Dottori, ich vertraue nur ihm. Er ist mein Cousin vom Vater her, er ist ein sehr guter Tierarzt.«
    Montalbano fiel aus allen Wolken. »Du lässt dich von einem Tierarzt behandeln?«
    »Wieso nicht, Dottori, da ist doch kein Unterschied. Wir sind doch alle Tiere. Aber wenn's gar nicht vorbeigeht, dann geh ich zu einer alten Frau, die die richtigen Kräuter kennt.«
    Es war ein anonymer Brief, geschrieben in Druckbuchstaben. Darin stand:
    AM 13. FRÜ MUS DER ALBANISISCHE ARBEITER STERBEN WEN ER VOM GERÜST FELIX IS DASS DAN AUCH EIN ARBEITSUNFAL?
Kapitel 2
    Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, als er sich den Stempel auf dem Umschlag ansah. Der Brief war am zehnten in Vigata abgeschickt worden. Ein plötzlicher Gedanke ließ ihn erstarren: Vielleicht hätte er, wenn er den Brief schon tags zuvor gelesen hätte, anstatt mit seiner Trödelei Zeit zu verlieren, den Unfall oder den Mord, oder was immer es war, verhindern können. Doch gleich darauf besann er sich: Auch wenn er den Brief sofort geöffnet hätte, wäre er nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen. Es sei denn, Catarella hatte ihn zu spät gebracht.
    »Catarella!«
    »Ai comanni, Dottori! Was ist los? Sie sehen blass aus!«
    »Catarella, weißt du

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