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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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bringen.«
    »Wissen Ihre Vorgesetzten Bescheid?«
    »Nein. Aber die Ärzte sagen, dass ich nicht mehr lange so weitermachen kann, vielleicht noch ein, zwei Wochen, dann muss ich ins Krankenhaus, um mich. jedenfalls fürchte ich, dass ich bei der knappen Zeit, die mir noch bleibt, nicht mehr viel zuwege bringe. Aber wenn Sie. Welche Entscheidung Sie auch treffen, ich bitte Sie jedenfalls, niemandem etwas von meiner Krankheit zu sagen.«
    »Haben Sie aus irgendeinem Grund besonderes Interesse an diesem Fall?«
    »Überhaupt nicht. Ich mag nur nichts halb fertig liegen lassen.«
    Hut ab. Nein, viel mehr als das: Respekt. Für den heiteren Mut, die gelassene Entschlossenheit dieses Mannes. Montalbano hatte einmal einen Vers gelesen, in dem in etwa stand, was einem zu leben helfe, sei der Gedanke an den Tod. Nun, der Gedanke vielleicht schon, aber die Gewissheit des Todes, seine Präsenz tagaus, tagein, seine ständigen Symptome, sein grausames Ticken - in diesem Fall war der Tod ja wie ein Wecker, der nicht zum Aufwachen, sondern zum ewigen Schlaf läutete -, hätte all das in ihm, Montalbano, nicht eine unsägliche, unerträgliche Angst ausgelöst? Woraus bestand dieser Mann, der ihm da gegenübersaß? Nein, überlegte er, er ist aus Fleisch und Blut, wie ich auch. Denn wenn es zur Sache geht, wenn es endgültig so weit ist, entdeckt wohl jeder Mensch in sich eine unverhoffte und barmherzige Kraft. »Einverstanden«, sagte er. Und setzte sich wieder. »Danke«, sagte der Maresciallo. Montalbano stand sofort wieder auf. »Bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick.«
    Sein Hals war mit einem Mal wie zugeschnürt, womöglich fehlte nicht viel, und er wäre in Tränen ausgebrochen. Er ging in die Toilette, trank einen Schluck Wasser und wusch sich das Gesicht. Auf dem Rückweg sah er kurz bei Fazio rein.
    »Wie weit bist du mit deiner Recherche?«
    »Mittendrin«, antwortete Fazio unfreundlich und mit missmutigem Gesicht.
    Die Geschichte mit der Plastiktüte hatte er einfach nicht schlucken können.
    Du hast ja keine Ahnung, was dich noch erwartet, dachte der Commissario belustigt. Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Seit Verruso das Zimmer betreten hatte, saß er in derselben Haltung da, die Schuhe genau parallel nebeneinander.
    »Möchten Sie wirklich nichts? Einen Espresso oder sonst etwas zu trinken?«, fragte Montalbano, aber eigentlich nur, weil er wissen wollte, ob er Verruso aus seiner Starre lösen konnte. »Nein, danke.«
    Wenigstens diesmal war danke sofort auf das Nein gefolgt.
    Montalbano legte gleich los. »Was haben Sie denn in der Hand?«
    »Nichts Brauchbares. Pashko Puka wohnte in Montelusa in einem vierstöckigen Haus, das aus unerfindlichen Gründen noch nicht in sich zusammengefallen ist. Eine Dreckbude. Da schlafen Albaner, Kurden, Araber, Kosovaren. Mindestens zu viert in einem Zimmer.«
    »Haben sie es besetzt?«
    »Ach was! Das Haus gehört dem rechten Stadtrat Francesco Quarantino, der gegen die Einwanderung ist. Aber da er ein großzügiger Mensch ist, wie er bei jeder Gelegenheit erzählt, überlässt er das Haus diesen armen Teufeln, bis sie wieder verjagt werden. Zu monatlich dreihunderttausend pro Bett. Doch Puka zahlte anderthalb Millionen, weil er ein Zimmer für sich und ein eigenes Bad mit einer Art rudimentärer Dusche hatte. Und das ist sehr sonderbar, er gönnte sich einen Luxus, den er sich bei seinem Lohn eigentlich nicht erlauben konnte.«
    »Na ja, das war nicht sein einziger Luxus. Er ging zum Beispiel auch zur Fußpflege.«
    Der Maresciallo wurde nachdenklich. »Stimmt. Ich habe den nackten Leichnam gesehen. Sehr gepflegt. Die Körperpartien, die gewöhnlich nicht der Sonne ausgesetzt sind, waren schneeweiß, auch die Brust und der Rücken, die durch das Unterhemd geschützt waren. Ich hatte ein seltsames Gefühl.«
    Er schien durcheinander und wollte nicht weitersprechen. »Sagen Sie es mir.«
    »Wissen Sie, Dottore, ich traue Gefühlen nicht.«
    Ich schon, dachte Montalbano. »Sagen Sie es mir«, bat er noch einmal. »Ich weiß nicht, aber es kam mir vor, als sei diese Leiche aus Stücken zusammengesetzt, die zu zwei verschiedenen Männern gehörten.«
    »Vielleicht waren es zwei verschiedene Männer.«
    Der Maresciallo begriff sofort.
    »Sie meinen, Puka war nicht der, als der er erscheinen wollte?«
    »Genau. Was steht denn in seinen Papieren?«
    »Die haben wir nicht gefunden. Weder in seinem Zimmer noch in den Kleidern, die er trug, als er umgebracht

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