Die Rache des Stalkers
Relevanz des Laptops war wie weggeblasen. Wagner machte sie darauf aufmerksam, wie wichtig es sei, die Leichen zu finden. Für die Angehörigen und die Polizei. Eines solchen Hinweises bedurfte es aber nicht. Anja würde den Fall erst mit dem Auffinden der Leichen abschließen. Sie las sich weitere Mails durch und stieß nach zwei weniger wichtigen Nachrichten auf die nächste Beschreibung eines Mordes:
Es fällt mir schwer, mich zurückzuhalten. Eigentlich will ich jede Sekunde auskosten und den Akt stundenlang hinauszögern. Wenn ich jedoch sehe, wie sie versuchen, meine angebliche Position zu ihrem Vorteil auszunutzen, erfasst mich diese Wut. Sie sind alle so wie sie.
Bei dieser habe ich mich nur eine Viertelstunde beherrschen können. Ich legte die Kamera beiseite, sagte ihr, eine Kleinigkeit stimme mit ihrem Haar nicht und ging auf sie zu. Sie erwartete mich freudig. Ich fuhr zunächst vorsichtig durch ihr Haar, streichelte es und sie lächelte mich an. Ich starrte ihr direkt in die Augen, während sich meine Hand in ihrem Schopf festkrallte und an ihren Haaren zog, meine Augen unaufhörlich auf ihre gerichtet. Ihr Schmerzen zufügte. Aus der gespielten Verheißung wurde Angst. Wie sehr ich das genieße. Die Panik zu spüren. Ich rammte ihr mein Knie
Anja musste sich einen Moment von den Zeilen lösen. Sie betrachtete die Liste neben dem Laptop. Jedes Mal, wenn eine junge Frau verschwunden war, hatte er seinem E-Mail-Partner innerhalb von zwei Tagen eine Nachricht zukommen lassen. Es gab keinen Zweifel an Zanders Schuld.
Bislang hatte Anja vier von zwölf Botschaften gelesen. In der zeitlich jüngsten Mail gab es die Anmerkung, wie dankbar Picasso Altermann für den Tipp mit dem Versteck sei. Mehr hatte sie leider zu diesem Thema noch nicht gefunden.
Verschiedene Fragen schwirrten ihr durch den Kopf. Wer war diese Person, die sich Altermann nannte, und wie waren sich die beiden begegnet? Kannten sie sich nur übers Netz oder auch im wirklichen Leben? Die Kommissarin betrachtete den Ordner mit den gelesenen E-Mails. Wenn Zander von Altermann die Idee für ein Versteck erhalten hatte, könnte sie möglicherweise in dessen Nachrichten fündig werden.
Gerade als sie mit der Maus die erste E-Mail von Altermann anklickte, öffnete sich die Bürotür und die angeschlagen wirkende Nadine trat herein.
»Guten Morgen«, begrüßte Anja ihre Partnerin verwundert.
»Guten Mor–« Nadines Stimme brach, sie räusperte sich und hustete kurz.
»Bist du erkältet?«
»Mein Körper wehrt sich noch.« Schwerfällig ließ sich Nadine auf ihrem Stuhl nieder. »Auf der Vernissage war ausgerechnet der Künstler erkältet. Das nennt man wohl moderne Kunst. Sven hat es ebenfalls erwischt. Ich hatte gehofft, mich nicht anzustecken, aber die gestrige Nacht hat mir den Rest gegeben.« Sie deutete auf den Laptop. »Schon auf Hinweise gestoßen?«
Während Anja ihre Kollegin unterrichtete, hustete diese mehrfach. Das Klingeln des Telefons unterbrach den Vortrag.
»Ich brauche Sie an einem Tatort!«, überraschte sie ihr Chef.
Anja befürchtete zunächst, Zander habe ein weiteres Opfer gefunden, doch eigentlich war das ausgeschlossen. Sie hatten ihn rechtzeitig gestoppt.
»Die Müllabfuhr hat heute in der Südstraße eine Frauenleiche gefunden«, fuhr ihr Vorgesetzter fort.
»Ein junges Mädchen?«
»Nein. Ein Polizist vor Ort meinte, die Frau sei etwa dreißig.«
»Also eine neue Ermittlung?«
»Genau.«
»Ich kann nicht. Die Akte Zander ist noch nicht geschlossen.«
»Die E-Mails werden nicht weglaufen.« Seine Stimme wurde strenger.
»Ich will dies erst zu Ende bringen. Ich spüre, dass im Computer der entscheidende Hinweis wartet.«
»Ist Frau Schäfer eingetroffen?«
»Gerade eben.«
»Gut. Dann können Sie ja zusammen los.«
»Und was ist mit dem Fall Zander?«
»Seit heute Nacht von Kleinigkeiten abgesehen gelöst.«
»Kleinigkeiten?« Anja konnte kaum glauben, wie schnell sich Wagners Meinung änderte. War es nicht vor weniger als einer halben Stunde überaus wichtig gewesen, die Leichen zu finden?
»Frau Hübner, Sie haben mir mit diesem Fall wieder bewiesen, dass Sie und Ihre Partnerin zu meinen fähigsten Mitarbeitern gehören. Ich weiß das zu schätzen. Genau deswegen übertrage ich Ihnen nun die Mordsache Südstraße. Natürlich haben Sie freie Hand, die Akte Zander endgültig zu schließen. Niemand wird Ihnen da zuvorkommen und ich erwarte das sogar von Ihnen.«
Zuckerbrot und Peitsche, dachte Anja
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