Die Rache ist Dein
»Danke«, flüsterte Rina.
»Du solltest Vega danken. Sie hat dich gesehen.«
»Dann dank ich dit dafür, daß du mich nicht erschossen hast.«
»Und ich danke dir, daß du dich hast fallen lassen und die Schußlinie freigemacht hast.« Marge atmete schwer. »Hör mal, tu Vega den Gefallen und nimm sie noch mal mit in die Synagoge.«
»Aber gerne.« Rina kämpfte gegen die Tränen an. »Ich kann selbst ein bißchen Gott gebrauchen.« Marge hielt sie umklammert, um ihrer selbst und um Rinas willen. Dann merkte sie, daß die Dinge außer Kontrolle gerieten. Widerstrebend löste sie sich von Rina und begann, Neugierige vom Tatort zu verscheuchen.
Ein Tatort, den sie geschaffen hatte! Naja, sie hatte den Tatort nicht geschaffen. Sie hatte der Sache nur eine andere Wendung gegeben. Rina hatte die Regie geführt. Durch ihren improvisierten Sturz hatte sie Marge freie Sicht auf den Täter gegeben ... freie Schußbahn.
Marge sah zu Rina hinüber und reckte den Daumen hoch. »Gut gemacht, Mädchen! Wirklich prima!«
Gegen ihren Willen fing Rina wieder an zu weinen, überwältigt von Gefühlen - Freude, Wut, Angst, Erleichterung und Dankbarkeit für jeden Atemzug, den sie machte. Danke, Haschern, sagte sie lautlos. Danke, daß du mich gerettet hast.
Und vielleicht war es ja ihr emuno - ihr Glaube - gewesen, der ihr erlaubt hatte, klar zu denken, eine Art Plan zu machen.
Im Hintergrund hörte sie das Heulen näher kommender Sirenen. Es übertönte fast das Klingeln ihres Handys.
Peter ruft zurück. Nimm ab.
Aber sie zögerte, wollte sich noch nicht von dieser überwältigenden Dankbarkeit lösen. Was für ein Glück sie gehabt hatte. Danke, Gott - Schöpfer und Regisseur des Lebens - daß du mich gerettet hast. Und danke, liebe Margie, für die tolle Rolle, die du gespielt hast.
Sie nahm den Anruf entgegen. Peters tiefe, geliebte Stimme drang an ihr Ohr. Einen Moment lang konnte Rina nicht sprechen. Und dann redete sie.
29
Jemand hatte ihr Wasser gebracht, ein anderer hatte ihr Tylenol angeboten. Da Peter so leicht Kopfschmerzen bekam, hatte Rina stets Advil in der Tasche. Sie lehnte das Tylenol ab, benutzte das Wasser, um die Advil zu schlucken. Wenn es auch nicht viel nützte. Sie zitterte immer noch unkontrollierbar. Eine Schwadron von Streifenwagen mit rotierenden Blinklichtern hatte das Gebiet umstellt wie Planwagen ein Lager. Polizeibeamte hatten den Tatort weiträumig mit gelbem Band abgesperrt. Rina war mittendrin, lehnte an der Rückklappe des Volvos, nur wenige Meter von der Leiche entfernt. Zwei Sanitäter warteten auf den Leichenwagen, während zwei Uniformierte bei dem Toten Wache hielten. Ein rot-weißer Krankenwagen stand in der Nähe, erinnerte Rina an den seidenen Faden, an dem das Leben hing.
Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich beschützt. Kaum jemand wagte sich näher heran, um nur ja keine Beweise zu zerstören. Außerdem konnte Rina von hier aus die schaukelnde Hannah sehen. Ihre kleine Tochter schaute ernst, schwang die Beine auf und ab. Ima wollte, daß sie spielte, und genau das tat sie. Vega stand daneben, ließ das Kind nicht aus den Augen. Sie hatte Marge nicht um Hilfe gebeten; Vega würde es nicht einfallen, Fragen zu stellen.
Rina starrte ihr blutbeflecktes Kleid an. Sie hätte Peter bitten sollen, ihr etwas zum Wechseln mitzubringen. Zum einen würde die Spurensicherung ihr Kleid haben wollen, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, wozu. Aber wichtiger war, daß es sie krankmachte, das Blut eines anderen an sich zu haben. Doch damit konnte sie sich jetzt nicht aufhalten. Sie mußte sich für die auf sie zukommenden Fragen bereitmachen. Uniformierte Beamte schwirrten wie Mücken herum. Manche suchten nach Zeugen, andere nahmen Aussagen auf, und wieder andere warteten offensichtlich auf Befehle. Die Zufälligkeit deutete darauf hin, daß niemand bisher die Sache in die Hand genommen hatte. Das würde sich ändern, sobald jemand von der Mordkommission kam.
Die Ironie war, daß Marge zur Mordkommission gehörte, aber offenbar konnte sie wegen ihrer Beteiligung die Ermittlungen nicht leiten. Sie tat Rina leid. Eine Schießerei, in die ein Beamter verwickelt war, hatte eine Untersuchung durch die Abteilung für solche Fälle zur Folge. Was kein Problem sein sollte, weil ihre Handlung gerechtfertigt war. Und Marge hatte viele Zeugen, die das bestätigen konnten. Trotzdem war es eine schwere Last, ein Leben auszulöschen, selbst wenn die Situation es erforderte.
Rina zitterte immer
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