Die Rache
Bürgersteig.
»Hallo, Abe«, sagte er, »was führt dich denn her?«
Sie saßen am Küchentisch und tranken heiße Schokolade.
»Das ist Janes Haus!« rief Hardy.
»Tatsächlich?« fragte Glitsky.
»Damals, als Baker ins Gefängnis gegangen ist, haben wir zusammen dort gewohnt.«
Frannie kroch tiefer in Hardys Jackett, das noch um ihre Schultern lag. »Also hat er wirklich nach dir gesucht.«
Hardy nickte.
Sogar Glitsky schien es endlich zu glauben. »Wenn es tatsächlich Janes Haus war …«
Hardy wiederholte die Adresse, und Glitsky bestätigte sie. Hardy nippte an seiner Tasse.
»Einen Zufall kann man das jetzt nicht mehr nennen, meinst du nicht auch, Abe?« sagte er.
»Ist er tot?« fragte Frannie. »Louis Baker?«
Glitsky schüttelte den Kopf. »Noch nicht.« Er wandte sich an Hardy. »Er hat zwei Kugeln abbekommen und liegt jetzt im County-General-Krankenhaus.«
»Wie haben sie ihn erwischt?«
»Er hat Krach gemacht, das Licht eingeschaltet … Entweder war er nicht mehr in Übung oder einfach zu selbstsicher. Auf jeden Fall: Ein Nachbar wußte, daß das Haus hätte leer sein müssen, und rief unsere Jungs. Sie haben ihn gestellt, als er gerade herauskam. Er hat sofort geschossen.«
Hardy lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Dann ist es also vorbei«, sagte er. Er schwieg einen Augenblick. Dann berichtete er Abe von seinem Experiment mit der Strömung.
»Ich möchte nicht kleinlich sein«, sagte Abe, »aber auch das beweist noch nicht, daß Rusty tot ist.«
Hardy seufzte. »Nun gut, aber es erhärtet meine Theorie. Das hast du selbst gesagt.«
Glitsky hob die Hand. »Ich will mich nicht streiten. Ich bin auch zufrieden, wenn Baker es war … Er war auf dem Kahn, hatte ein Motiv, eine Waffe – das sollte ausreichen.«
»Bist du hergekommen, um mir das zu sagen?«
Glitsky schüttelte den Kopf. »Ich habe die Einzelheiten erst auf dem Weg hierher über Funk gehört. Hergekommen bin ich, weil ich erfahren habe, daß Baker auf Rustys Kahn war, und dir raten wollte, vorsichtig zu sein.«
»Ich war vorsichtig.«
»Ich weiß«, erwiderte Abe. »Ich bin nicht blind.« Es gefiel ihm nicht, daß Privatleute bewaffnet auf der Straße unterwegs sein konnten, nicht einmal dann, wenn es sich um seinen Freund handelte und der einen Waffenschein hatte. »Wie nah warst du dran, mich zu erschießen?«
»Nicht besonders nah«, entgegnete Hardy.
Frannie füllte Glitskys Becher nach. »Er hatte Angst, Abe. Sie an seiner Stelle hätten auch Angst gehabt.«
»Da hörst du’s.« Hardy versuchte zu lächeln, aber er fühlte sich noch immer, als hätte ihm jemand in den Magen getreten. Er wußte nicht genau, ob er wirklich kurz davor gewesen war abzudrücken, doch viel hatte sicher nicht gefehlt.
Glitsky pustete auf seine Schokolade, obwohl sie nicht sehr heiß war. »Bevor ich das mit Baker heute abend erfahren habe, dachte ich, daß ich dir meine Unterlagen vorbeibringe, damit du dich mit anspruchsloser Lektüre ein wenig beruhigen kannst.«
Hardy nahm den Aktenordner. »Was steht drin?«
»Denk daran: Wir wissen erst seit kurzem, daß Baker auf dem Kahn war. Lies es, dann wird dir klar, daß Leute in die Sache verwickelt waren, die noch nie was von dir gehört haben. Erstklassige Verdächtige. Ich dachte, es würde dich ein wenig entspannen und Louis Baker aus deinem Hirn vertreiben.«
»Brauchen Sie die Akte nicht?« erkundigte sich Frannie.
Abe stand auf. »Ich glaube nicht. Nicht mehr.«
»Was ist los, Abe?«
Glitskys Gesichtszüge hatten plötzlich alle Kraft verloren, und man sah ihm seine Resignation an. Seine Augen waren gerötet. »Ich bin fertig damit, Diz. Niemand schert sich noch darum. Du weißt, was ich meine … Alles deutet auf Baker, und höchstwahrscheinlich war er es … Also, warum vergasen wir ihn nicht einfach und haken die Sache ab? Es erinnert mich an diesen Satz aus Casablanca …
›Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen‹. Das ist keine Polizeiarbeit mehr. Es liegt mir nicht, also scheiß’ ich darauf.« Er nickte Frannie zu. »Bitte entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise«, sagte er.
Draußen kam Wind auf und drückte gegen die Scheibe. Glitsky schob seinen Stuhl zurück und erklärte, er müsse nach Hause. Hardy und Frannie brachten ihn zur Tür.
»Was geschieht jetzt?« fragte Hardy.
»Was ich gesagt habe: Ich gehe nach Hause. Wir sehen uns morgen, okay?«
Sie sahen ihm nach, wie er, in seinen Mantel geduckt, Richtung Wagen ging, bis er im Nebel
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