Die Rache
erzählen mußten – warum also nicht ein Märchen? Aber dann, nach ein paar Jahren Knast, klangen die Dinge plötzlich, als wären sie möglich. Wie zum Beispiel, daß es draußen Jobs gebe.
Aber keiner der Männer, die aus dem Knast kamen, schien einen dieser Jobs zu bekommen, und das war nur verständlich. Wer stellte schon einen Ex-Sträfling an, wenn er statt dessen jemanden bekam, dem er vertrauen konnte?
Am Ende glaubte man das, was man glauben wollte. Und hier war der Beweis. Louis Baker, seit drei Tagen auf freiem Fuß, brauchte keine guten Absichten mehr, nach denen zu leben ohnehin sehr anstrengend wäre. Jetzt, da er sowieso am Ende war, würde er etwas tun, das ihm ein bißchen Erleichterung verschaffte.
Er parkte am Straßenrand unter der Laterne vor dem alten viktorianischen Gebäude. Im Vorderzimmer brannte eines dieser Lichter, das die Leute brennen ließen, wenn sie nicht zu Hause waren.
Louis stieg aus dem Auto, steckte die Hände in die Jackentaschen, ging hinüber, die Stufen hinauf und klingelte. Er atmete ein paarmal tief durch und umklammerte den Griff der Waffe.
Als niemand antwortete, trat er gegen die Tür, doch ein kurzer Blick verriet ihm, daß es schwer sein würde hineinzukommen – über dem Türknauf war ein sehr neues, sehr massives Schloß.
Aber es entsprach auch nicht seinem Stil, durch die Vordertür zu gehen, und so stieg er die Treppe hinunter und schlich sich an der Seite des Hauses entlang. Er hielt sich dicht bei dem Mäuerchen, das das Haus vom nächsten Gebäude trennte. Drei Fenster gingen auf diese Seite, und alle waren geschlossen.
Als er an der Rückseite angelangt war, versetzte er dem Deckel einer Mülltonne einen Tritt, und der Deckel schepperte ein paar Sekunden lang höllisch, machte ungefähr soviel Lärm wie eine vorbeimarschierende Armee. Mehrere Hunde begannen zu bellen. Louis duckte sich tief in den Schatten und preßte sich gegen die Hauswand.
Die Hunde waren gut, dachte er. Hunde warfen ständig Mülltonnen um. Katzen auch. Sogar Biber. Er würde warten. Das Gefängnis hatte ihn das Warten gelehrt. Bald würde es wieder still sein.
Er reckte den Hals und sah sich um. In etwa fünfzehn Metern Entfernung sah er etwas, das in der Dunkelheit aussah wie ein hoher Zaun. Dahinter erhob sich fünf oder sechs Stockwerke hoch ein Wohnhaus. Aus jedem Stockwerk starrten ihn sechs Fenster an, einige waren erleuchtet, aber er erkannte keine Silhouette, niemand kam, um nachzusehen, was den Lärm verursacht hatte. An den Seiten gab es keinen Zaun, die Gebäude begannen an der Grenze des Grundstücks und könnten den Ort zur aussichtslosen Falle machen – kein Weg führte hinaus, abgesehen von der schmalen Gasse, durch die er gekommen war.
Ein paar Schritte von ihm entfernt war eine hölzerne Veranda. Er ging um den heruntergefallenen Deckel der Mülltonne herum und näherte sich ihr. Ein paar Stufen führten unter die Veranda, zu einer Hintertür, und dort unten gab es zwei dicht nebeneinanderliegende Fenster. Eines stand oben ein paar Zentimeter offen und ließ sich leicht öffnen.
Louis wollte nicht einbrechen. Er wollte herausfinden, ob Hardy noch hier wohnte, und wenn dem so war, abwarten, bis er nach Hause kam. Er schlüpfte durch das Fenster in einen Waschraum und ertastete sich in der Dunkelheit den Weg bis zur Tür. Über ein paar Stufen gelangte er in die Küche.
Seine Augen gewöhnten sich schnell an das Dunkel. Aus dem Wohnzimmer fiel ein wenig Licht durch den Flur. Auf dem Boden vor der Haustür sah er einen Berg Post, die durch den Briefschlitz geworfen worden war. Eine Jane Fowler lebte jetzt offensichtlich hier, und wer auch immer das war – sie war seit mindestens einer Woche nicht hier gewesen.
Er warf die Umschläge zurück auf den Boden und kehrte in die Küche zurück. Er öffnete den Kühlschrank, aber der Inhalt war mager. Ein paar Flaschen Wein, einige von ihnen zur Hälfte geleert, ein Laib Brot, ein paar Plastikdosen, in die nicht einmal genug Essen für ein Kind passen würde. Vier Flaschen mit dunklem Bier.
Er nahm das Brot, eine Flasche Bier und ein Glas Erdnußbutter heraus und durchsuchte die Schubladen neben der Spüle nach einem Messer. Das Licht des Kühlschranks fiel durch die dunkle Küche und auf die Wand neben der Tür zum Flur.
Er kaute auf seinem Sandwich, nahm einen Schluck Bier und erstickte beinahe. Das Zeug war dick, dunkel und schmeckte wie Galle. Er besah sich die Flasche genauer. Er hatte angenommen, es sei
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