Die Rache
seinem bisherigen Leben nicht zufrieden? Und wie stand es mit seinem augenblicklichen Leben? Wenn ihm noch ein Tag bliebe, würde er ihn mit Frannie oder mit Jane verbringen? Oder allein?
Gut, wenn er Glück hatte, blieb ihm mehr als ein Tag, und dann würde er diese Entscheidung nicht treffen müssen.
Die Sonne stand hoch, und der Nebel hatte sich fast vollständig aufgelöst, und Hardy beschloß, daß er, wenn er zurück nach Hause zog – wann immer das sein mochte – auch Kaffee bei Graffeo’s kaufen würde. Er schmeckte wirklich besser als sein Espresso aus der Dose.
Auf der Fußmatte vor der Haustür fand er die Sonntagszeitung. Er sah hinaus auf die lange Reihe der Autos, die am Straßenrand parkten, und versuchte sich vorzustellen, wie er gestern abend hinter einem dieser Autos gestanden und die Waffe auf Abe Glitskys Rücken gerichtet hatte. Im hellen Sonnenlicht wirkte alles vollkommen anders … Hatte er wirklich auf Abe gezielt? Hatten er und Frannie wirklich miteinander geschlafen? Wie würde das jetzt, im Tageslicht, aussehen?
Er ging zurück in die Küche und schlug die Zeitung auf. Der Bericht auf der Titelseite sprang ihm ins Auge – Hector Medina war wieder in den Schlagzeilen. Fred Treadwell hatte Medina offensichtlich beschuldigt, seinen Hund getötet und ihn selbst mit dem Tod bedroht zu haben. Zwei Spalten waren Hector gewidmet. Die eine berichtete über den Verdacht von vor sieben Jahren, Medina sei ein Killer-Polizist gewesen. Der Fall, hieß es, sei zu den Akten gelegt worden. Hardy war noch zu sehr Polizist und Staatsanwalt, um an dieser Art der Berichterstattung Gefallen zu finden, auch wenn Medinas Unschuldsbeteuerungen ihm verdächtig erschienen waren. In der zweiten Spalte war ein Interview mit Medina abgedruckt, den ein Reporter gestern zu Hause angerufen hatte. Medina hatte im großen und ganzen das Klagelied wiederholt, das er auch Hardy vorgetragen hatte – stehe man erst einmal unter Anklage, könne man die Tat auch begehen, denn jeder behandle einen, als hätte man es getan. Natürlich habe er nie irgendeinen Hund getötet, aber selbst wenn ihm dies wie die dümmste Behauptung vorkomme, die er je gehört habe, glaube jeder, er hätte es getan. Warum hätte er den Hund dieses Mannes töten sollen? Und so weiter und so fort.
Eine Sekunde lang ging Hardy der Gedanke durch den Kopf, daß es sich im Fall Louis Baker möglicherweise ähnlich verhielt … Louis war ein Verbrecher, also war er an allen Verbrechen, die sich in seiner Nähe ereigneten, schuld, und daraus folgte – wenn man erst einmal unter Verdacht stand, konnte man die Verbrechen auch begehen. Nein. Nicht in Bakers Fall. Sie hatten ihn gefaßt, nachdem er in Janes Haus eingebrochen war, um nach ihm zu suchen. Gott im Himmel …
Hardy legte die Zeitung beiseite und sah aus dem Fenster. Er fühlte Frannies Hände auf seinen Schultern, die ihn massierten, dann hinunterglitten und auf seiner Brust liegenblieben. Frannie küßte ihn auf den Kopf, und er lehnte sich an sie.
»Hallo«, sagte er.
Sie streichelte seine Brust und richtete sich auf. »Ich liebe dich«, sagte sie, während sie neben ihn auf einen Stuhl glitt, und sah ihm in die Augen. »Und du bist durcheinander.«
Hardy lächelte. »So durcheinander nun auch wieder nicht.«
»Gut.«
»Ich weiß nur nicht mehr, was ich tue, was wir tun, und was das alles zu bedeuten hat.«
»Das geht in Ordnung. Ich weiß es auch nicht.«
Er nahm ihre Hand. »Zufall ist es nicht, das solltest du wissen.«
»Ich weiß es.«
»Ich versuche gerade herauszufinden, was oder wie mein wirkliches Leben ist.«
»Du meinst – Jane oder ich?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht nur das, aber es ist ein Teil davon.«
»Ich habe nicht vor, irgendwelche Rechte anzumelden. Aber ich will, daß du weißt, daß ich dich liebe.«
Hardy sah hinunter auf ihre Hand, die in der seinen lag: Eddies Ring steckte noch an ihrem Finger.
Er wollte ihr vieles sagen – daß man Rechte anmeldete, wenn man jemandem sagte, daß man ihn liebe, daß er nicht wußte, wie er mit seinen Gefühlen für sie umgehen solle, daß er dem Gefühl namens Liebe nicht traue, nur dem Verhalten namens Liebe, und daß er bei ihr das Gefühl empfinde. Bei Jane hatte er begonnen zu glauben, daß das Verhalten stimme, und versuchte jetzt – mit wechselndem Erfolg – sich das Gefühl einzureden. Aber das Gefühl für Jane war nicht mit dem Sturm vergleichbar, den er jetzt in seinen Adern fühlte.
Dennoch wußte
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