Die Rache
vorhin abgeholt hatte.
Sie fuhren nach Norden, über den Park Presidio Boulevard durch die Stadt, nahmen die Lombard Street zur Van Ness, kamen zum Broadway, durch den Tunnel und nach North Beach. Nat hatte eine Vorliebe für umfangreiche italienische Mahlzeiten, und wenn sein Sohn bezahlte, gab es nichts Besseres als das Capp’s , das noch die gleichen Gerichte servierte wie damals, als er Emma den Hof gemacht hatte. Es war eines der wenigen guten Restaurants, in das er sie führen konnte, weil man dort nichts dagegen hatte, wenn eine schwarze Frau an einem Tisch mit den Weißen saß. Doch jetzt fiel es ihm schwer, sich an jene Zeiten zu erinnern, denn an den Tischen saßen Menschen aller Hautfarben und Nationalitäten.
Nat behielt seine Gebetsmütze auf und hängte sein Jackett über die Stuhllehne. Der Kellner kam, und er bestellte sich einen Negroni – Campari, Bitter Lemon und Gin.
»Wie kannst du das nur trinken? Es schmeckt wie Medizin«, sagte Abe, der sich einen Eistee bestellt hatte.
Nat tätschelte die Hand seines einzigen Kindes, das zweifellos eine Menge von Emma geerbt hatte. Auch Emma hatte sich nichts aus Negronis gemacht. Er fragte sich, ob das vielleicht etwas damit zu tun hatte, daß Emma und Abe ganz beziehungsweise zur Hälfte Schwarze waren. Negroni . Würde er Geschmack an einem Getränk mit einem Namen wie Israeli oder Itzig finden?
Aber sein Sohn hatte ganz andere Probleme. Während der Fahrt hatten sie über Abes geplanten Umzug nach Los Angeles gesprochen. Nat war dagegen. Was würde er ohne seine Familie anfangen? Aber er erwähnte es nicht. Es war unsinnig, eine lange Diskussion anzufangen, während noch gar nichts feststand. Außerdem sprach Abe ununterbrochen. Er hatte sich noch nicht entschließen können, glaubte Nat. Noch nicht …
Wenn Nat Abe kannte, war es nicht nur der Umzug nach Los Angeles, über den er mit jemandem sprechen mußte. Das war lediglich eine Entscheidung, und Entscheidungen hatten Abe noch nie Probleme bereitet. Zumindest hatte er nie mit seinem Vater über irgendwelche Entscheidungen gesprochen. Probleme hatte Abe manchmal damit, die Fäden zu entwirren, damit er seine Aufmerksamkeit dem tatsächlichen Kern einer Sache zuwenden konnte. Aber dieses Problem hatte jeder, dachte Nat. Entscheidungen ließen sich wie von selbst treffen, wenn man erst einmal die Fäden entwirrt hatte. Die meisten Leute ließen sich dafür nur einfach keine Zeit, handelten zu impulsiv und machten die falschen Schritte.
Nicht so Abe, jedenfalls normalerweise nicht. Und aus eben diesem Grund saßen sie jetzt hier.
Die Getränke kamen, sie stießen miteinander an. »L’chaim.« Nat trank, stellte das Glas ab, gab ein paar kußähnliche Geräusche von sich, als er den Geschmack im Mund prüfte. Wenigstens sah Abe gesund aus. Und warum auch nicht? Er hatte Flo und die großartigen Kinder. Das Wichtigste funktionierte. Trotzdem hörte er natürlich zu, während Abe immer wieder von seinem Job hier und seinem Job da sprach, davon, daß niemand sich wirklich kümmere, und von einem seiner Freunde, Hardy, der ein Problem habe.
Endlich hob Nat die Hand.
»Was willst du mir damit sagen?« fragte er. »Der Job ist nicht gut? Dann such dir einen anderen. Aber fang nicht mit demselben Job woanders von vorne an.«
»Ich bin Polizist, Dad. Das ist mein Beruf.«
»Such dir einen anderen Beruf. Zuerst bist du ein Mann, habe ich recht?«
»Ja, aber …«
»Natürlich habe ich recht. Jetzt wirst du mir zuhören. Wie alt bist du? Kein Kind mehr, okay? So. Du hast einen Job. Ein Job ist immer derselbe Job, ganz egal, wo man ist. Willst du mir erzählen, Polizist in New York oder Tel Aviv zu sein sei etwas anderes als in San Francisco? Nein. Ich glaube das nicht. Mehr noch, ich weiß, daß es nicht so ist. Sieh mich an. Ich hatte – bevor ich in Rente ging – durch Gottes Gnade eine Begabung: Ich konnte Dinge reparieren. Zuerst war ich ein Junge in Delaware – Delaware! Ich weiß, du kennst die Geschichte, aber hör trotzdem zu. Ich habe Fahrräder und Nähmaschinen in Delaware repariert, bin zur Schule gegangen, konnte mit Motoren umgehen. Also nannte man mich Spezialist für Motoren. Ich bekam einen Job in einem kleinen Laden in Kalifornien, der Laden wuchs, wurde an jemand anderen verkauft. Mir gefiel es nicht, wie die neuen Besitzer Geschäfte machten, also wechselte ich die Stelle. Ein anderer Laden, dann ein dritter. Während der ganzen Zeit habe ich dich aufgezogen und versucht,
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