Die Rache
einfach zurück nach Hause ziehen, am Dienstag wieder mit der Arbeit im Shamrock beginnen, sein Leben an jener Stelle wiederaufnehmen, an der er es unterbrochen hatte, und dankbar dafür sein, daß er noch lebte?
Aber was genau sollte er wiederaufnehmen? Frannie mochte das, was zwischen ihnen passiert war, ›Urlaub von der Wirklichkeit‹ nennen und konnte vielleicht in den alten Trott zurückkehren. Er nicht. Sie war ein Teil seines Lebens geworden. Was geschehen war, hatte Janes Position in seinem Leben verändert, die er ihr in den letzten Monaten so sorgfältig eingeräumt hatte.
Und was war mit dem alten Diz selbst? Er hatte sich immer für einen guten, anständigen Menschen gehalten, einen Mann mit Prinzipien, der vielleicht nicht zu einer Lösung beitragen konnte, aber wenigstens auch nicht zum Problem.
Jetzt war sein Leben ein bißchen in Unordnung geraten, und schon war er, Hardy, der weiße Ritter, bereit, Louis Baker zu opfern, weil der irgendwann einmal ein Verbrechen begangen hatte. Vielleicht nicht das Verbrechen, für das man ihn jetzt dranbekommen hatte, aber etwas anderes. Nicht zum erstenmal fragte sich Hardy, ob er anders empfinden würde, wenn Baker nicht schwarz wäre.
Wenn er ehrlich war, wußte er genau, was er jetzt, in diesem Moment, in dem er hier in seinem Suzuki Seppuku vor sich hin fror, empfinden würde – Zorn. Zorn darüber, daß Baker ein fairer Prozeß verweigert wurde, weil man ihn aufgrund seiner Herkunft und seiner Hautfarbe schon im vorhinein verurteilt hatte. Vielleicht, würde er denken, war er tatsächlich schuldig – aber ob schuldig oder unschuldig: Der Fall wurde nicht untersucht, wie man es hätte verlangen können.
Warum also war er nicht zornig?
Vielleicht, Diz, weil der Unterschied zwischen Schwarzen und Weißen heute, in den liberalen Neunzigern, nur noch graduell besteht? Vergiß deine Ängste für einen Moment und sieh dir deine persönlichen Tatsachen an … Hardy muß an sein Leben denken, das von Baker bedroht wird, und sich – ob die Drohung nun ernst gemeint ist oder nicht – schützen. Also ist er froh, daß Baker für den Rest seines Lebens hinter Gitter wandert oder gleich in die Gaskammer kommt.
War das nicht immer der Grund? Man fürchtet, daß sein Leben, seine Nachbarschaft bedroht sind, und der Instinkt rät einem, sich zu schützen. Man schert sich nicht mehr um Gerechtigkeit, will nur der verdammten Drohung entgehen, die Angst loswerden. Ob die Angst unbegründet ist, interessiert einen nicht wirklich – man will ihr einfach nicht begegnen. Will nicht mit ihr leben, sie nicht wahrnehmen. Also läßt man die Leute, die einem angst machen könnten, nicht in seinen Bus, in seine Nachbarschaft und verbietet ihnen, sich mit seiner Tochter zu treffen.
Hardy rieb sich die Augen. Er fühlte die Abwehr gegen diese ernüchternde Feststellung in sich hochsteigen. Er war nicht so. Er war anders. Einige seiner besten Freunde … und so weiter, und so weiter. Abe Glitsky, verdammt noch mal.
Erinnere dich! Louis hatte tatsächlich bei dem Einbruch in Janes Haus auf die Polizisten geschossen, war beim besten Willen kein Unschuldslamm. Gut, das sei zugestanden. Aber ist er deshalb ein Mörder? Oder genauer: Hat er Rusty und Maxine ermordet? Was draußen in Holly Park geschehen ist, hat, zum Teufel, ja nichts mit Dismas Hardy zu tun, oder, Diz?
Aber es hatte doch etwas mit ihm zu tun: Falls – falls – Baker Rusty nicht getötet hatte, befand Hardy sich in einer Position, die ihm überhaupt nicht behagte. Denn dann hätte jemand ihn in diese Affäre hineingezogen und auf Baker gehetzt, um ihn zu Fall zu bringen. Hardy dachte, er wüßte gern, wer das war, damit er ihm in den Hintern treten konnte.
Er öffnete die Tür und trat auf die Straße. Er hatte keine Lust, nach Hause zurückzuziehen oder in zwei Tagen wieder an der Bar zu stehen. Er war es sich schuldig herauszubekommen, was hier eigentlich gespielt wurde.
Er sah zu den Sternen hinauf. Wenn es nach ihm ging, konnte Louis Baker ruhig verfaulen. Aber die Frage nach der Wahrheit legte ihn in Fesseln, und solange er nicht in der Lage war, ein paar von ihnen wieder zu lösen, würde es ihm nicht gelingen, zu seinem normalen Leben zurückzukehren.
16
»Das ist eine fantastische Gelegenheit!«
Manny Gubicza hatte diese Reaktion befürchtet. Treadwell war erregt und schien Mannys Zögern nicht zu verstehen. Manny hätte ihn auffordern sollen, am Mittag herzukommen, um die Sache persönlich zu
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