Die Radleys
nicht vergessen. Ich mache einen kleinen Thai-Salat.«
Für Peter ist Lorna Felt kein richtiger Mensch, sondern eine Zusammenfassung von Ideen. Immer wenn er ihr wundervoll glänzend rotes Haar betrachtet, ihre gepflegte Haut und die teuren pseudoexzentrischen Kleider, hat er eine Idee von Leben im Kopf. Die Idee von Erregung. Von Verführung.
Die Idee von Schuld und die Idee von Horror.
Sie lächelt neckisch. Ein freudiges Werbeversprechen. »Oh, Nutmeg, lass das . Was ist bloß mit dir los?«
Bis zu diesem Moment hat er nicht gemerkt, dass sie ihren Irish Setter bei sich hat, obwohl der ihn vermutlich schon eine geraume Weile anknurrt. Er beobachtet, wie der Hund zurückweicht und vergeblich aus seinem Halsband zu schlüpfen versucht.
»Wie oft hab ich dir das schon gesagt, Peter ist absolut harmlos.«
Absolut harmlos.
Während er die spitzen Zähne des Hundes betrachtet, eine prähistorische und bestialische Zackenlinie, merkt er, dassihm etwas schummrig wird. Eine Art Schwindel, der mit der aufsteigenden Sonne am Himmel zu tun haben könnte, vielleicht aber auch mit dem Duft, der ihm mit der leichten Brise zugetragen wird.
Etwas Süßliches, raffinierter als der Extrakt von Holunderblüte in ihrem Parfüm. Etwas, das sich seinen getrübten Sinnen nur noch sehr selten bietet.
Aber es ist da, unverkennbar echt.
Der betörende Duft ihres Blutes.
Peter geht so dicht wie möglich an der Hecke entlang, um von dem spärlichen Schatten möglichst viel abzubekommen. Er bemüht sich, nicht zu viel über den bevorstehenden Tag nachzudenken, oder über die lautlose Anstrengung, die es kosten wird, einen Freitag zu überstehen, der sich von den zahllosen Freitagen der Vergangenheit praktisch in nichts unterscheidet. Freitage ohne jeden Reiz, seit sie von London hierhergezogen sind, um ihre alten Gewohnheiten und Wochenenden wilder, blutiger Zügellosigkeit hinter sich zu lassen.
Er ist gefangen in einem Klischee, das nicht für ihn geschaffen ist. Ein gutbürgerlicher Mann mittleren Alters mit der Aktentasche in der einen Hand, der die volle Last von Schwerkraft und Moral und sämtlichen repressiven menschlichen Kräften auf seinen Schultern spürt. Nahe der Hauptstraße kommt einer seiner älteren Patienten auf einem Elektromobil angefahren. Ein alter Mann, dessen Namen er eigentlich wissen müsste.
»Hallo, Doktor«, sagt der alte Mann mit einem zögerlichen Lächeln. »Komme später mal vorbei.«
Peter tut so, als ob ihm die Information etwas sagen würde, und tritt dem Fahrzeug aus dem Weg. »Ja, natürlich. Bin schon gespannt.«
Lügen. Überall verdammte Lügen. Immer der gleiche verklemmte alte Eiertanz des Menschengeschlechts. »Cheerio!«
»Ja, bis dann.«
Fast bei der Praxis angekommen, dicht an der Hecke, sieht er einen Lkw der Müllabfuhr langsam auf sich zukommen. Der Blinker leuchtet auf, bereit, um links in die Orchard Lane einzubiegen.
Peter blickt beiläufig zu den drei Männern auf den Vordersitzen hoch. Er sieht, dass einer der drei, der dem Gehweg am nächsten sitzt, Peter direkt ins Gesicht starrt, und Peter lächelt ihm zu, wie das in Bishopthorpe üblich ist. Aber der Mann, den Peter noch nie gesehen hat, wirft ihm einen hasserfüllten Blick zu.
Ein paar Schritte weiter bleibt Peter stehen. Der Wagen ist jetzt eingebogen, und der Mann starrt ihn immer noch an, mit jenen Augen, die zu wissen scheinen, wer er wirklich ist. Peter schüttelt leicht den Kopf, wie eine Katze, wenn sie Wasser abbekommt, und läuft weiter den schmalen Pfad zur Praxis hinauf.
Elaine ist schon da, hinter der Glastür, und sortiert Patientenakten. Er versetzt der Tür einen Stoß nach vorn, um noch einen sinnlosen Freitag ins Rollen zu bringen.
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AUF TOD UND STERBEN TAGT DAS FRÜHGESTIRN
Die Müdigkeit überkommt Rowan in narkoleptischen Schüben, und ein solcher bricht gerade über ihn herein. Er hat letzte Nacht ungefähr zwei Stunden geschlafen. Über seinem Durchschnitt. Wenn er jetzt doch genauso wach wäre wie um drei Uhr morgens! Seine Augenlider werden schwerer und schwerer, und er stellt sich vor, er wäre jetzt da, wo seine Schwester ist, die mit Eve redet, einfach so wie ein ganz normaler Mensch.
»Morgen, Lahmarsch.«
Rowan sagt nichts. Jetzt wird er keinen Schlaf mehr abbekommen. Und außerdem ist Schlafen sowieso zu gefährlich. Er reibt sich die Augen, holt seinen Byron-Band heraus und versucht, sich auf eine Zeile zu konzentrieren. Irgendeine Zeile. Irgendwas mitten in »Lara«.
Auf
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