Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Teamkameraden trafen ihre üblichen Tour-Vorbereitungen.
Nach unserem Erfolg am Ventoux bestand die größte physische
Herausforderung darin, den Körper wieder herunterzufahren. Auch mit Doping
reicht die Spitzenform nur für eine bestimmte Anzahl von Tagen, und die wollte
ich nicht verschwenden. Weil die meisten schweren Bergetappen in der dritten
Woche lagen, wollte ich vorsichtig anfangen: den Prolog mit 90 Prozent beginnen
und dann, wenn es darauf ankam, auf 100 Prozent gehen. Ufe und ich arbeiteten
einen Plan aus: drei BB s, einen vor dem Rennen,
einen am ersten Ruhetag nach der achten Etappe, dann einen nach der 13. Etappe,
zwischen den Pyrenäen und den Alpen. Alles war bereit.
Zuhause wurde es für Haven und mich allerdings traurig: Unser
geliebter Tugboat wurde krank. Nicht nur ein bisschen kränklich, sondern er
hatte alle Kraft verloren, kam auf einmal kaum noch die Treppen hoch und wollte
nicht mehr Gassi gehen. Der Tierarzt diagnostizierte innere Blutungen; im
besten Fall bedeutete das Magengeschwüre, aber wir wussten im Grunde schon, dass
es etwas Schlimmeres war. Es war, als ob wir ein krankes Kind hätten; wir
taten, was wir konnten, um es ihm leichter zu machen, und begannen eine
Medikamententherapie. Als ich zur Tour aufbrach, stand es schlecht um ihn. Ich
sagte Tugs Auf Wiedersehen, und dass ich bald wieder zurückkäme.
Ich flog zur Transfusion nach Madrid und von dort zum Tourstart, wo
mich Lance weiterhin, wie er es seit der Dauphiné tat, schweigend ignorierte.
Gegenüber anderen Fahrern schwieg er allerdings nicht. Ich hatte schon von
mehreren Freunden im Peloton gehört, dass Lance ständig über Phonak sprach und
sich beklagte, unsere Leistungen seien nicht normal, wir seien bis zum Hals
voll mit Doping, bestimmt irgendein neues Zeug aus Spanien. Das stimmte zwar
nicht – wir taten nichts anderes als er auch –, aber das ließ sich natürlich
nicht beweisen. Man konnte nichts machen, und so blieb uns nur, ihn genauso zu
ignorieren wie er uns. Er und ich kamen uns in den ersten Tagen manchmal bis
auf wenige Zentimeter nahe, wenn wir so Knöchel an Knöchel fuhren, aber wir
starrten beide geradeaus und sagten kein Wort. Stur wie Viertklässler.
Die Veranstalter der Tour bringen auf den Flachetappen stets gern
ein paar Schikanen unter. Dieses Jahr servierten sie auf der dritten Etappe
eine große Portion belgisches Kopfsteinpflaster. Ich fühlte mich wieder in die
Passage du Gois 1999 zurückversetzt – enge, gemeine Abschnitte, wie dafür
gemacht, Panik und Stürze zu provozieren. Um dem zu entgehen, so das Rezept
auch hier, musste man sein Team an die Spitze vorstoßen und es dort um einen
Platz kämpfen lassen. Nun ist es nicht leicht, es zu Anfang der Tour an die
Spitze des Feldes zu schaffen. Alle sind noch ausgeruht und voller Ehrgeiz;
alle sind in Topform. Man kommt sich vor wie einer von 200 ausgehungerten
Hunden, die einem Knochen hinterherrennen; niemand lässt sich da zurückfallen.
In den letzten Jahren hatte Postal die Spitze praktisch gepachtet, aber das
sollte sich jetzt ändern. Vor der dritten Etappe versammelte ich mein Team und
erklärte den Fahrern, worum es ging. Todos juntos adelante – alle zusammen nach vorne!
Vor dem ersten Kopfsteinpflaster-Abschnitt wurde das Rennen
chaotisch. Die Straße verengte sich, unsere Geschwindigkeit nahm zu, und immer
mehr Fahrer drängten sich vorne zusammen: wir, Postal, Mayos Euskaltel-Team,
Ullrichs T -Mobile-Team. Etwa neun Kilometer vor dem
Kopfsteinpflaster zogen wir los: todos juntos adelante. Die
Postal-Fahrer wollten mithalten; einer von ihnen, Benjamin Noval, verhakte sich
mit dem Lenker eines anderen Fahrers, und schon war der Sturz passiert. Als wir
nachher Bilanz zogen, hatten unsere Jungs es geschafft, Ullrichs auch und
Lance’ auch. Aber Mayo war mit in den Sturz geraten und zurückgeblieben; am
Ende des Tages betrug sein Rückstand vier Minuten. Das war uns allen eine
Lehre.
Lance war wütend, aber er konnte nichts dagegen unternehmen. Wir
waren absolut genauso gut in Form wie das Postal-Team, wie wir am nächsten Tag
im Mannschaftszeitfahren bewiesen. Postal legte ein fehlerloses Rennen hin, und
obwohl wir im Gegensatz dazu mit vier geplatzten Reifen, einem gebrochenen
Lenker und drei zurückgefallenen Fahrern fertigwerden mussten, wurden wir immer
noch Zweite, nur 1 : 07 Minuten hinter Postal. Die Botschaft lautete: Selbst wenn
wir Pech haben, bleiben wir immer dicht hinter euch.
Am nächsten
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